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Star Trek: Discovery – Besprechung Episode 01 (Das vulkanische Hallo) & 02 (Kampf beim Doppelstern)

von Gastautor Sebastian Blasek

Spoilerwarnung.
Dieser Eintrag enthält detaillierte Informationen zu den ersten beiden Folgen von Star Trek: Discovery.

Einleitung.

Bei aller Ironie steckt ein Körnchen Wahrheit in diesem Meme:
Es ist tatsächlich eine großartige Zeit für Star-Trek-Fans diese Tage miterleben zu können.

Nachdem das Science-Fiction-Urgestein in einen tiefen Dornröschenschlaf gefallen war – der nur sporadisch durch die drei unter Fans höchst umstrittenen Kinofilme unterbrochen wurde – kehrt es nun fulminant auf die Mattscheibe zurück. Wobei ‚Mattscheibe‘ natürlich viel gesagt ist, denn tatsächlich muss man hierzulande den Streaming-Bezahldienst Netflix bemühen, um in den Genuss neuen Star-Trek-Materials zu kommen.

Doch plötzlich wallen wieder längst verloren geglaubte Gefühle hoch, die sich einstellten, wenn man wie zu guten alten TNG-, DS9- oder Voyager-Zeiten nach Hause kam und wusste, dass einen dort im Fernsehsessel eine neue Folge erwartete.
Den Anfang machen dabei die beiden Episoden „Das vulkanische Hallo“ und „Kampf beim Doppelstern“, die in dieser Rezension nicht zuletzt deshalb als einheitlicher Pilotfilm behandelt werden, weil sie trotz unterschiedlicher Regisseure eine gemeinsame abgeschlossene Handlung beinhalten.

Nun erwarte ich persönlich als alter Star-Trek-Hase, der mittlerweile sechs Star-Trek-Pilotfilme gesehen hat, von einem solchen Einstiegsmoment vor allem drei zentrale Dinge:
Dass die neuen Charaktere angemessen eingeführt werden, eine stimmige Handlung den Startpunkt für weitere Abenteuer setzt und dass es in bester Tradition eine Moral und einen Ansatzpunkt zum Philosophieren – oder gar Streiten – gibt.

Story.

Michael Burnham ist ein Kind zweier Welten. Als Weise wächst das Menschenkind auf Vulkan unter dem erfolgreichen Diplomaten Sarek auf, der ihre Karriere fördert, bis sie zum ersten Offizier der USS Shenzhou aufsteigt. Burnham findet einen Weg zwischen Logik und Emotionen, bis ihr Schiff eines Tages zu einem scheinbaren Routineeinsatz am Rand des Föderationsgebietes gerufen wird.

Es gelingt Burnham herauszufinden, dass ausgerechnet die Klingonen, die dereinst ihre leibliche Familie töteten, hier im Hinterhalt lauern um die Anwesenheit der Shenzhou zu nutzen, um ihr zerstrittenes Reich wiederzuvereinen. Verzweifelt stemmt sich Burnham gegen den drohenden Ausbruch eines Krieges zwischen der Föderation und dem Kriegerimperium, bis sie eine so tragische wie folgenreichen Entscheidung fällt…

Lobenswerte Aspekte.

Charakterzeichnung.

Man kommt kaum umhin, sich gleich von Anfang an in den (weiblichen) Hauptcharakter Michael Burnham hineinzufühlen, was bei Lichte besehen gar keine Selbstverständlichkeit ist. Burnham ist nämlich von den kühlen Vulkaniern großgezogen worden und trägt die Widersprüche zwischen ihren menschlichen und vulkanischen Hälften wie einen Schild vor sich her. Vielleicht liegt die spontane Sympathieübertragung ja in der spannenden Anlage dieses Charakters, seiner mitreißenden Biografie oder ihrem beinahe revolutionäre Ansatz (jedenfalls für Vulkanier), die eigenen Gefühle als Inspiration für die eigene Logik heranzuziehen, begründet.

Wahrscheinlicher ist es aber wohl, dass Sonequa Martin-Green einfach schauspielerisch brilliert und den Spagat zwischen kühler, abweisender Vulkanierhaltung und aufgewühlter, impulsiver Menschlichkeit beispiellos zu meistern versteht. Das bemerkt man vor allem dann, wenn sie in Interaktion zu Philippa Georgiou (dem Captain der Shenzou) und Sarek (dem leiblichen Vater Spocks) tritt. Die Dynamik zwischen ihr und ihrer Ersatzmutter sowie ihr und ihrem Ersatzvater ist nicht nur glaubhaft dargestellt, sondern hilft dem Zuschauer ungemein, in die derlei sozialen Interaktionen einzutauchen und mitzufiebern.
Zwar sind auch die anderen Schauspieler gut und passend gecastet, aber eine Person, die in spezieller Beziehung zu Burnham steht, verdient eine gesonderte Erwähnung:

Der Kelpianer Saru.

Neben Burnham gebiert ihm am Ende die Ehre, dem Zuschauer am ehesten in Erinnerung zu bleiben, denn im Zusammenspiel mit Burnham, seiner Herkunft und seinem Habitus verfügt er über das Potential, als wirklich Alien-Konzept in die Fußstapfen von Data, Odo oder Phlox zu treten.

Besonders hilfreich erweist sich ferner ein Aspekt, der in den Trailern nicht zur Geltung kam: Humor. Tatsächlich liegt dem Piloten trotz aller Ernsthaftigkeit eine gewisse unaufdringliche Komik zugrunde, die in besonderer Weise hilft, den Figuren zusätzlichen Anstrich zu verleihen.

Handlungsstart.

Zunächst einmal kann man festhalten, dass es Discovery gelingt aufzuzeigen, woran etwa die letzte Star-Trek-Serie scheiterte:
Es handelt sich erstmals um einen wirklich klaren Bruch mit Sehgewohnheiten, die seit TNG in der Franchise ohne Rücksicht auf Verschleiß tradiert wurden. Man kann problemlos erkennen, dass man sich nunmehr an den Standards zeitgenössischer Serien orientiert, anstatt wiederzukäuen, was bis dato stabil funktioniert hat. Und man ist sich vor allem nicht zu schade, zentrale Figuren sterben zu lassen.

Den oft beschworenen Vergleich mit ‚Game of Thrones‘ hält Discovery deswegen aber noch lange nicht stand, schon allein weil die Handlung zwar stabil, aber keinesfalls von ähnlich epischem Ausmaß ist. Dennoch markiert es den vielversprechenden Beginn einer umfassenderen Story, den man trotz einiger Längen getrost als ‚großes Puzzle für den Zuschauer‘ bezeichnen kann. In drei Erzählsträngen, unter Zuhilfenahme mitreißender Action und in einem vergleichsweise zügigen Tempo ergibt sie nach und nach ein Gesamtbild, das sich teilweise jedoch erst nach dem zweiten oder gar dritten Ansehen völlig erschließt.

Das funktioniert aber leider nicht ohne übertriebene Effekthascherei, die sich in gängigen Star-Trek-Sujets wie etwa einem bösen Riesenraumschiff (wie z.B. in Star Trek I, X, XIoder XII), einem rasanten Weltraumspaziergang (wie z.B. in Star Trek X, XI oder XII) oder dem effektvollen Rammen eines anderen Schiffes (wie z.B. in Star Trek X oder XI) äußert.

Am Ende wird schließlich klar, dass in der neuen Serie ein blutiger Krieg das zentrale Thema sein wird, weswegen sich Discovery für Alt-Fans vor allem an Deep Space Nine wird messen lassen müssen. Da jedoch – ähnlich wie in der dritten Star-Trek-Serie – insbesondere politische Aspekte eine große Rolle zu spielen scheinen und die ersten beiden Folgen am Ende dialoglastiger daherkamen, als es die Trailer zuvor vermuten ließen, besteht Grund zur Hoffnung, dass dieses Thema weniger als bei J.J. Abrams‘ Interpretation von Star Trek der bloßen Action untergeordnet sein wird. Zudem wird mittels eines klassischen Cliffhangers ein deutliches Ausrufe-Zeichen für die garantierte Wiederaufnahme der vorgestellten Erzählstränge gesetzt.
Statt also ‚Game of Thrones‘ zu kopieren, kann man die Bemühungen aller Beteiligten erkennen, ein eigenes Äquivalent zu schaffen, das sich einerseits nicht den Neuerungen moderner TV-Serien versperrt, aber andererseits auch seine Wurzeln nicht vergisst. Das erkennt man nicht zuletzt daran, dass ein fester Bestandteil Star Treks auch hier zu finden ist:

Die Moralität.

Die Moral von der Geschicht‘.

Zugegebenerweise hat es mich zweimaliges Sehen und einen sehr langen Nachhauseweg gekostet, die tiefere Moral dieser ersten beiden Episoden zu erkennen.
Ein zentrales Zitat Sarek half mir schließlich:

„Große Einiger sind rar gesät und doch treten sie manchmal auf den Plan. Oft benötigen solche Anführer einen profunden Grund, um Unterstützer um sich zu scharren.“

T’Kuvma ist kein geborener Einiger. Er ist jemand, der Freund (seine Untergebenen) und Feind (die etablierten klingonischen Häuser und die Sternenflotte) für seine Ziele manipuliert und instrumentalisiert, in dem er (anhand historischer Muster) genau abschätzt, in welchen Parametern sie handeln.

Nur einmal sind seine Pläne – ohne sein Wissen – in Gefahr, als nämlich Michael Burnham unter Berücksichtigung der blutigen Geschichte vulkanisch-klingonischer Erstkontakte – eine vom üblichen Sternenflotten-Schema abweichende Strategie entwirft. Doch ihr plötzlicher Ausbruch von Individualismus wird von den starren Hierarchien und Wertevorstellungen der Sternenflotte – so gut gemeint oder angemessen sie auch sind – verhindert, obwohl durch Burnhams Lösung weitaus mehr Leben geschont worden wären.

Gleich in seiner ersten Folge stellt Discovery damit zwei zentrale Star-Trek-Elemente in Frage:
Die hierarchische Organisation der Sternenflotte mit ihren starren Regeln, Moralvorstellungen und Verhaltenscodices und das utalitaristische Prinzip, das Spock einmal so schön mit den Worten „Das Wohl von vielen wiegt schwerer als das Wohl von wenigen oder eines Einzelnen“ umschrieben hatte. Das ist sicherlich ganz schön harter Tobak für eine Serie im Geburtsstadium, aber definitiv ein schönes Comeback eines der spannendsten Merkmale der Franchise.

Der Konflikt mit dem Konflikt.

Der andere Zugang zu Star Trek bringt in Discovery auch den Bruch mit vormals ehernen Regeln mit sich. So ist zum Beispiel die große Roddenberry’sche Anweisung, Konflikte unter der Crew aus der Story herauszuhalten stets ein Dorn im Auge der Schreiberriege gewesen.

Immerhin leben die meisten Geschichten vorrangig von den Konflikten ihrer Figuren.
Dieser Bruch in Discovery ist schonungslos und brutal. Spätestens, wenn Georgiou einen Phaser auf Burnham richtet, ist auch der letzte Zweifel beseitigt, dass diese neue Serie Neuland betreten wird. Nun gab es sicherlich schon zuvor Konflikte innerhalb einer Star-Trek-Crew (und wieder erinnere ich an Deep Space Nine), aber in einer solchen Radikalität war dies noch nicht einmal bei Abrams zu sehen.

Das bringt durchaus eine gewisse Würze in die ersten beiden Folgen, aber es bleibt abzuwarten, ob man am Ende nicht den Wiedererkennungswert aushebelt, zumal dieses Verhalten eine Ausnahmesituation in der siebenjährigen gemeinsamen Dienstzeit von Georgiou und Burnham darstellte. Per se bot es aber eine erfrischende Neuerung , die Neugier erweckt, wie man solcherlei Konflikte künftig vermehrt schüren will.

Der Name der Rose.

Als ich den Titel „Das vulkanische Hallo“ erstmals las, empfand ich ihn als dämlich und eines Star-Trek-Piloten unwürdig.
Doch nach Ansehen der ersten beiden Folgen entwickelte er sich – im Gegensatz zum etwas uninspirierten „Kampf beim Doppelstern“ – zu einem meiner persönlichen Highlights, denn tatsächlich ist er mehr als nur ein Verweis auf die Geschichte der klingonisch-vulkanischen Diplomatie. Zusammen mit „Lebe lang und in Frieden.“ ist „Wir kommen in Frieden“ nichts weiter als der Ausdruck einer vulkanisch-pazifistischen Grundidee, auf der die ganze Föderation basiert.

Und doch haben ausgerechnet die logischen Vulkanier einen praktischen Nutzen in der Anwendung von Gewalt gefunden! Michael Burnham als Brücke zwischen Vulkaniern und Menschen obliegt es scheinbar, diesen Widerspruch und die damit einhergehenden Probleme von Anfang an auf ihre Schultern zu laden.

Kein sehr schönes Begrüßungswort für Burnham, aber fraglos ein programmatisches Versprechen zu Beginn einer neuen Serie.
Bemerkenswert ist an dieser Stelle übrigens, dass der Erstkontakt zwischen Vulkaniern und Klingonen im Erdenjahr 2016 stattfand, also just zu jenem Zeitpunkt, als Star Trek fünfzig Jahre alt wurde.

Frische Infusion für den blassen Kanon.

Nach mehreren Jahren, in denen der Input für die Star-Trek-Wikipedia „Memory Alpha“ vor allem in Informationen aus den Abrams-Filmen bestand, die größtenteils in einem Paralleluniversum angesiedelt waren, erhält der offizielle Kanon endlich wieder neuen Input.

Dabei vollzieht Discovery eine Gratwanderung zwischen klassischem Star-Trek, Abrams-Trek, Enterprise und etwas völlig Neuem. Es versucht redlich, eine Brücke zwischen all diesen Elementen zu schlagen.

So erfahren wie viel Neues (z.B. über den vulkanisch-klingonischen Erstkontakt, die Spezies der Kelpianer oder die vierundzwanzig großen Häuser der Klingonen), aber auch den ein oder anderen netten Anklang an frühere Serien und Filme (z.B. dass es auf Gamma Hydra eine Andorianerkolonie gibt, dass Vulkanier und Klingonen im H’atoria-System aufeinandertrafen oder dass auch in diesem Universum Vulkaniern in Schulungszentren Prüfungen ablegen). Dazu gibt es eine Menge neuer Schiffe zu sehen (den Modellschiffversand Eaglemoss wird es freuen), unter denen Namen wie USS Shran, USS T‘Plana Hath oder USS Earhart ebenfalls Querbezüge zum Kanon bilden.

Ja selbst die klingonische Sprache wurde mit Discovery sicherlich in ihrem Wortschatz bereichert. Daneben gibt es aber auch subtilere Anleihen. So überlistet Burnham in bester Kirk-Manier einen Computer und steht in schlechtester Kirk-Manier am Ende vor einem Kriegsgericht. Derlei Verweise kommen allerdings nicht – wie z.B. bei Seth MacFarlanes Orville – mit der Brechstange, sondern wirken weit weniger plump und augenfällig.

Darüber hinaus verleiht zumindest der TOS-Brücken-Sound dem Geschehen ebenso das richtige Star-Trek-Feeling wie die Verwendung der guten, alten Nummer siebenundvierzig. Und doch gibt es einige neue Zugänge, die in einem gewissen Kontrast zu Star Treks sauberem, anmutigen und professionellem Habitus stehen.

Manchmal klappt etwas bei den hochspezialisierten Sternenflottenoffizieren einfach nicht (z.B. dass das Bild eines versteckten Schiffes sofort angezeigt wird), weiß ein Crewmitglied eben keine Antwort auf die Frage seines Captains (z.B. Saru zum versteckten Schiff) und tatsächlich konnte man mal zwei Schiffe sehen, die mal nicht auf einer imaginären gemeinsamen Ebene des Raumes lagen, sondern schief im All zu hängen schienen.

Und obwohl es auch beim Kanon sicherlich den ein oder anderen Punkt zu bemängeln gibt, gibt es gleichermaßen auch einen Grund zur Hoffnung:
Nachdem im Internet bereits Bilder des Transporter-Raums den Unmut so mancher Fans auf sich zogen erfahren wir nun, dass es sich bei der ‚lateralen Transporter-Technologie‘ um eine Art Brückenfossil zwischen Enterprise- und TOS-Beamen handelt, die geschickt das Dilemma des abweichenden Aussehens zum Original umgeht. Wenn Gleiches wenigstens ansatzweise mit den anderen Kanon-Ungereimtheiten passiert, könnte es gelingen, mit der Zeit auch konservativere Fans beschwichtigen zu können.

Kritikwürdige Aspekte.

Nosferatus Klingonen.

Vieles ist im Vorfeld ja bereits zum Aussehen der Klingonen gesagt worden. Nachdem im Vorgänger Enterprise so viel Energie darauf verwendet wurde mühselig zu erklären, wie das abweichende Aussehen der Kriegerspezies in der Originalserie zustande kam, findet man hier plötzlich wieder allenthalben stirnwülstige Klingonen wieder, die es eigentlich nicht geben dürfte. Sie tragen Uniformen, die mit ihren Vorläufern und Nachfolgern nichts gemein haben, lassen Worfs so wild wallendes Haupthaar schmerzlich vermissen und brechen selbst mit ihren Schiffen aus dem traditionellen Designschema heraus. Von der Unsinnigkeit, die schützenden klingonischen Schlachtschiffe vor dem endgültigen Sieg fortzuschicken, fange ich besser nicht an zu reden, aber taktisch fragwürdig agierende Gegenspieler sind wohl ein ebenso ein geläufiges Bild bei Star Trek wie explodierende Konsolen (vergleiche dazu auch Kanon und Logiklöcher).

Im Laufe der ersten beiden Episoden gewöhnt man sich fraglos irgendwie daran, aber es fühlt sich spätestens zu Beginn des Abspanns wieder falsch an. Zum anderen finde ich es prinzipiell ja wirklich toll, dass der klingonischen Sprache so viel Raum eingeräumt wurde wie noch nie zuvor. Das führt aber auch zu unangenehmen Längen, nervigen Untertitelfluten und reißt die Geschichte viel zu oft aus ihrem Fluss.

Noch mehr stört aber, dass den unendlich langen Ausführungen T‘Kuvmas jegliche Betonung, Intonation und vor allem Pathos fehlt, den z.B. General Chang der Sprache dereinst in „Das unentdeckte Land“ verlieh. Chris Obis Klingonisch wirkt seelenlos auswendig gelernt, lustlos runtergerasselt und so einschläfernd wie das Rattern der Gleise auf einer Bahnfahrt durch Brandenburg bei Nacht.

Am Ende bleiben ausgerechnet die Klingonen, die die Hauptlast der Kriegs-Handlung ein hausgemachter Schwachpunkt der Serie.

Design und Optik.

Es ist nicht alles doof. Ich möchte an dieser Stelle einmal explizit die schöne Kameraführung loben (z.B. aus All in Burnhams Zelle), die viel zur Ästhetik der einzelnen Szenen beiträgt. Aber ansonsten setzt sich leider das schlechte Urteilsvermögen, das sich bereits in der Konzeption der Klingonen andeute, die auch in den Bereich Design und Optik fort.

Zum einen liegt das daran, dass die Serie, die zehn Jahre vor der Originalserie (aber dreiundzwanzig Jahre nach Abspaltung der Kelvin-Zeitlinie) spielen soll, sehr stark an den Designvorstellungen J.J. Abrams orientiert ist. Nun ist natürlich jedem klar, dass man niemanden mehr mit Designs wie den bunten Knöpfen, grellen Pyjamas oder klingonischen Low-Budget-Make-Ups hinter dem Ofen hervorlocken kann. Andererseits hat aber erst vor kurzem ein Fanprojekt namens Axanar gezeigt, dass man im gleichen Zeitraum angesiedelt sehr wohl ein ansprechendes, glaubwürdiges aber doch spürbar anderes Design anbringen kann.

Doch statt daraus zu lernen, klagte CBS den unliebsamen Konkurrenten lieber in Grund und Boden, bis es kaum mehr wiederzuerkennen war. Das hinterlässt natürlich ein ‚Geschmäckle‘, zumal sich Discovery insbesondere in puncto Schiffskonstruktion eine dicke Scheibe vom vermeintlichen Widersacher hätte abschneiden können. So bleiben die Fans, für die das Design von Schiffen oftmals von zentraler Bedeutung ist, mit kantigen, klobigen und vor allem glanzlosen Schiffen zurück, die in ihrer Eleganz ein wenig an rostige Ostblock-Automobile der Marken Fiat Polski, Dacia oder Lada erinnern.

Diese absichtlich primitiver gestalteten Schiffe stehen wiederum in einem krassen Widerspruch zu den überaus modernen Displays, die ihnen benutzt wird. Überall lassen sich Touch-Funktionen finden, die eigentlich eher in die TNG-Ära und danach gehören. Am Ende wirkt dieser Gegensatz so aufgesetzt, als würde man z.B. ein gutes altes Nokia 3310 benutzen, um darauf Angry Birds zu spielen.

Zum anderen setzt man noch immer auf unzählige Lenseflares, die nichts von ihrer Nervigkeit eingebüßt haben. Obgleich J.J. Abrams sich für ihre Verwendung längst entschuldigt hat, der dreizehnte Kinofilm auf ihren Einsatz größtenteils verzichtete und der Großteil von ihnen völlig unnötig ist, begleiten sie den Zuschauer durch die ersten beiden Folgen wie der Durchfall einen Ruhr-Patienten.

Das bedeutet im Gegenzug aber auch, dass der Rest der Serie erschreckend dunkel gehalten ist. Was normalerweise ein Anzeichen dafür ist, dass ein Fanfilm seine mangelnde Ausstattung kaschieren möchte wird hier zu einem fragwürdigen Stilmittel erhoben, das zu Folge hat, dass man mehr als einmal ungläubig seinen Monitorwinkel im festen Glauben daran verändert, ihn falsch eingestellt zu haben.

Außerdem verfügt Discovery über ein erschreckend konservatives Intro; zumindest aus musikalischer Warte. Immerhin ist der Vorspann, dessen Laufzeit in erster Linie von Einblendungen der erschreckend vielen beteiligten Produzenten (insgesamt stolze zwanzig Nennungen) geprägt ist, mit seinen Set-Skizzen, Blumenmotiven und der einzigen Sichtung der Discovery bis hierhin nett anzusehen.

Kanon und Logiklöcher.

In bester Star-Trek-Tradition scheut auch Discovery nicht davor zurück, gleich im Pilotfilm mit Kanon-Verletzungen und Logik-Löchern aufzuwarten. Das beginnt schon mit der Eingangsszene, die trotz aller gegenteiligen Beteuerungen Burnhams und Georgious eine eindeutige Verletzung der obersten Direktive – dem zentralen Leitgedanken der Sternenflotte – darstellt. Ich hoffe inständig, dass dies kein Sinnbild für den weiteren Umgang mit dem Kanon war.

Aber bei Lichte besehen gab es eigentlich nur einen wirklichen Kanon-Bruch (neben dem bereits angesprochenen Klingonen-Aussehen):

So sind die verschiedenen Schiffe dieser Ära alle in der Lage, Holo-Kommunikation zu betreiben und direkt mit ihrem Gegenüber in Kontakt zu treten. Das erscheint insofern verwirrend, dass diese Technologie eigentlich erst viel später in der DS9-Episode „Für die Uniform“ eingeführt wurde.

Alle anderen vermeintlichen Widersprüche können mit Gegenbeispielen locker widerlegt werden.

Klingonen können sich nicht tarnen?
Ihre Schiffe taten dies zwar in der Originalserie nicht, aber es wurde auch niemals behauptet, dass sie nicht dazu in der Lage wären. Immerhin wundert sich im dritten Kinofilm niemand, dass die Kriegerrasse dazu ‚plötzlich‘ in der Lage ist.

Michael Burnham beherrscht den vulkanischen Nervengriff?
Entgegen weitläufiger Ansichten unter Fans ist dieses Verfahren keine explizit vulkanische Spezialität. So sehen wir sowohl Data in „Wiedervereinigung?“, als auch Odo in „Das verlorene Paradies“, Picard in „In der Hand von Terroristen“, Archer in „Kir‘Shara“, Seven of Nine in „Der schwarze Vogel“ und Gary Seven in „Ein Planet genannt Erde“ bei der Durchführung dieses Manövers. Immerhin würde Burnhams fehlende vulkanische Stärke erklären, warum Georgiou nur vergleichsweise kurzzeitig außer Gefecht gesetzt blieb.

Sarek kann über Lichtjahre hinaus mit Burnham kommunizieren?
Die Möglichkeit für solche Katra-Ferngespräche besteht tatsächlich. Schließlich konnte Spock den Tod seiner spitzohrigen Landsleute auf der USS Intrepid in „Die Weltraum-Amöbe“ sogar ohne vorherige Gedankenverschmelzung über Lichtjahre hinweg spüren.

Sind Meutereien in der Sternenflotte vor der Originalserie nicht ausgeschlossen?
Zwar fällt eine solche Behauptung tatsächlich in einem Gespräch zwischen Spock und Chekov in „Das Spinnennetz“ , aber bereits Kirks Vorbild Garth von Izar wurde von einer meuternden Crew seines Kommandos enthoben.

Warum gibt es vor Data schon einen Roboter?
Anhand des schmerzerfüllten Schreis des Brückenmitgliedes der Shenzou und der Tatsache, dass die Hände eindeutig menschlich sind, gehe ich eher davon aus, dass es sich um einen Cyborg oder einen Mensch mit Maske handelte.

Ist der Körper eines verstorbenen klingonischen Kriegers nicht nur eine wertlose Hülle?
Rein prinzipiell schon, aber bereits die Erwähnung von klingonischen Mummifizierungsglyphen im vierten Star-Trek-Kinofilm weist darauf hin, dass es auch anderen Praktiken im Umgang mit den Toten auf Qo’noS gab.

Während vieler dieser vermeintlichen Widersprüche also leicht aufzulösen sind, bzw. anderweitig erklärt werden können, gibt es noch einige Logiklöcher wie diese:

So zum Beispiel spottet Sareks Behauptung, man könne nach wenigen Minuten im halben Quadranten den Schein des Klingonenschiffes sehen, völlig dem Konzept der Lichtgeschwindigkeit. Und auch der Albino Voq hat ein merkwürdiges Schmerzempfinden, wenn er problemlos seine Hand ins Feuer hält, aber problemlos überwunden werden kann, als Burnham ihn mit dem Fingernagel unter’s Auge piekt…

Übersetzung.

Die Übersetzung ist größtenteils gut gelungen, auch wenn es insbesondere zu Beginn schwierig war, die Stimmen von Georgiou und Burnham auseinanderzuhalten. Man wird sich wohl endgültig damit abfinden müssen, dass der Begriff „Ensign“ (seit Enterprise) den Begriff „Fähnrich“ (seit TNG) abgelöst hat. Hoffen wir, dass „mein Katra“ dahingehend nur ein einmaliger Ausrutscher war und dieses Wort seinen ursprünglich weiblichen Artikel (seit Star Trek III) beim nächsten Mal wieder zurückerhält.

Besonders angenehm fiel übrigens der Versuch aus, so ziemlich zum ersten Mal in der Geschichte Star Treks vorsichtig mit Duzen und Siezen zu experimentieren. Tatsächlich war es so gut eingesetzt, dass es mir beim ersten Sehen gar nicht aufgefallen war.
Die an sich schlüssige Idee, zum besseren Verständnis die deutsche Untertitelspur zu verwenden, fiel hingegen desaströs aus. Selten stimmten sie mit dem Gesagten überein, ließen gern Eigennamen unter den Tisch fallen und wirkten streckenweise so fürchterlich übertragen, dass man das Gefühl bekommen konnte, dass hier ein unmotivierter Praktikant dazu vordonnert wurde, die deutschen Dialoge durch Google Translate zu jagen. Hinzu kommt, dass sich haarsträubende Fehler wie z.B. „Befehl 1“ statt „oberste Direktive“ „Taktik Team“ statt „taktische Konsole“ und „zum Qo’noS“ statt „nach Qo’noS“ eingeschlichen haben.
Da lohnt es sich wahrscheinlich eher, die ebenfalls bei Netflix verfügbaren klingonischen Untertitel zu verwenden, denn die wurden wenigsten von Star-Trek-Fans verfasst.

Fazit.

Es ist nicht alles Gold was glänzt.

Die Klingonen in Discovery sind ein offener Affront gegen die Alt-Fans und nehmen in ihrer Umsetzung viel zu viel vom Tempo aus der neuen Star-Trek-Serie. Optisch bricht Discovery mit der Chronologie Star-Treks und beruft sich ausgerechnet auf Stilelemente, die selbst J.J. Abrams einmal als Fehler bezeichnete. Hinzu kommen Kanon-Fehler, Logik-Löcher und zumindest einige Entscheidungen, die man als fragwürdig bezeichnen kann.

Doch auch Silber versteht durchaus zu glänzen.

Sicher, Discovery ist keinesfalls „das Game of Thrones der Star Trek-Franchise“, aber der Pilot vereint alle Elemente in sich, die man für eine traditionelle Star-Trek-Einführungsfolge braucht:

Angefangen von einer Schar vielversprechender Charaktere über eine stabile Handlung bis hin zur unverzichtbaren Moralität.
Daneben greift es gleichsam eine Vielzahl erzählerischer Neuerungen wie offen ausgetragene Figurenkonflikte, den Tod von Hauptcharakteren oder ein erst am Ende erkennbares Gesamtbild auf, die diese Serie in die Zukunft katapultieren.
Discovery gelingt am Ende trotz des ein oder anderen Haltungsfehlers der schwierige Drahtseilakt zwischen menschlicher Impulsivität und vulkanischer Logik, Kanon und Neuland sowie Tradition und Moderne zu meistern.

Man darf zu Recht gespannt sein, was in den kommenden Wochen nachgeliefert werden wird, aber eines ist sicher:
Wir leben in einer großartigen und vor allem spannenden Zeit für Star-Trek-Fans…

Bewertung

Ein stabiles Fundament für zukünftige Aufbauten.

Denkwürdige Zitate.

„Wir kommen in Frieden.“
T’Kuvma, Michael Burnham und Philippa Georgiou

„Sie fällen ein Urteil weil sie etwas sehen das sie nicht verstehen.“
Burnham zu Saru

„Das einzige Wort, das es angemessen beschreibt, ist ‚wow‘.“
Michael Burnham

„Es wäre unklug, Rasse und Kultur zu verwechseln.“
Micheal Burnham

„Die Sternenflotte schießt nicht zuerst.“
Philippa Georgiou

„Benimm Dich.“
Sarek

„Warum kämpfen wir? Wir sind die Sternenflotte! Wir sind Forscher, keine Soldaten!“
Danby Connor

 

Sebastian Blasek (auch als Turon47 bekannt) ist in selbst seinen späten Dreißigern noch immer ein großer Star-Trek-Fan, nachdem er 1988 das erste Mal «Raumschiff Enterprise» im Westfernsehen sehen durfte. Aufgewachsen in einem Staat den es nicht mehr gibt, wohnt er heute in Potsdam, wo er Deutsch und Geschichte studiert hat. Der anglophile Fußballfan schreibt in seiner spärlichen Freizeit Artikel für die Star-Trek-Tafelrunde «Hermann Darnell» und schläft am Wochenende gern aus.

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Autor: Gastautor

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