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Star Trek: Discovery – Besprechung Episode 10 («Despite Yourself»)

von Gastautor Sebastian Blasek

Spoilerwarnung. Diese Rezension enthält ausführliche Einblicke in die zehnte Star-Trek-Discovery-Folge «Despite Yourself«. Wer diese oder vorangegangenen Folgen noch nicht gesehen hat, sollte an dieser Stelle unbedingt aufhören zu lesen.

I. Einleitung.

Eines, was man der aktuellen Star-Trek-Serie «Discovery» auf jeden Fall zugutehalten muss ist, dass sie Trekkies erstmals in der Geschichte der Franchise massenhaft dazu animiert, ausgiebige Background-Theorien, mikroskopisch kleine Verdachtsmomente und fantasievolle Plot-Vorhersagen zu formulieren, zu diskutieren und im Internet zu verbreiten. Im Zusammenspiel mit der Nachbesprechungs-Show «After Trek» hat dieser Umstand eine blühende Einzelfolgenreflektionskultur aus dem Boden gestampft, wie sie zuvor völlig unbekannt war – wahrlich neue Welten sozusagen.

Einige dieser Theorien sind mittlerweile zu Grabe getragen. Andere, wie zum Beispiel der Umstand, dass Tyler und der klingonische Spion Voq ein und die selbe Person sind, sind mit der aktuellen Folge Fakt geworden. Aber statt sich auf dem bislang Erreichten auszuruhen, gibt auch «Despite Yourself» statt zahlreichen Antworten eher noch mehr Fragen auf, über die sich die Fanscharen die Köpfe zerbrechen können…

II. Story.

Gestrandet irgendwo im galaktischen Nirgendwo versuchen sich Captain Gabriel Lorca und die Crew der USS Discovery in einer völlig neuen Umgebung zu orientieren. Nach einem kurzen Intermezzo mit einem aggressiven vulkanischen Schiff gelangt die Mannschaft rasch zur Erkenntnis, dass man in ein düsteres Spiegeluniversum verschlagen wurde, in dem eine düstere Version der Menschheit der Milchstraße eine düstere Terrorherrschaft aufzudrücken versucht.

Auf der verzweifelten Suche nach einem Weg in ihre Heimatzeitlinie ersinnen Michael Burnham und Lorca einen verwegenen Plan:
Sie wollen ihre finsteren Alter Egos nutzen, um sich Zugang zu geheimen Informationen über die gleichfalls hier gestrandete USS Defiant zu verschaffen, die eine sichere Passage zurück versprechen. So findet sich Burnham einen halsbrecherischen Plan später auf der ISS Shenzhou wieder, wo sie nicht nur den grausamen Umgangsformen dieser Realität genügen, sondern mit ihrem immer fragiler auftretenden Liebhaber Ash Tyler einen Unsicherheitsfaktor ausgleichen muss…

III. Lobenswerte Aspekte.

Charaktermomente.

In dieser Folge bleibt «Discovery» der Multiperspektive treu, wodurch es insgesamt fünf Figuren gelingt, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Ganz oben auf der Liste steht mal wieder der Name Gabriel Lorcas, auch wenn sein Charakter noch immer nicht wirklich zu fassen ist. Auf der anderen Seite bedeutet dies aber auch, dass er so vielschichtig daherkommt wie nach ihm kein zweiter im restlichen Cast, denn er spielt eine ganze Reihe von unterschiedlichen Rollen:
Als ränkeschmiedender Intrigant füttert er Burnham und Saru gezielt mit falschen Informationen, zieht als scheinbar geläuterter Regelfetischist Doktor Hugh Culber von seinem Partner Paul Stamets ab, wirft immer wieder plötzliche Selbsteinsichten um das eigene falsche Handeln ein und ersinnt schließlich eigenständig eine höchst waghalsige Selbstmordmission, bei der man sich nur schwer vorstellen mag, dass es allein um die Sicherstellung unbekannter Informationen geht.

Einmal mehr wagt er die am Ende überraschend glaubwürdige Gratwanderung zwischen einem Captain und einem Fanatiker, der auch mal seinen Kopf zwecks Glaubwürdigkeit an einer Wand blutig schlägt und sich in einer Agoniezelle wiederfindet, die in Anbetracht des nahen Staffelendes wohl nur der Anfang seiner wirklichen Leidenszeit bedeuten dürfte. Symptomatisch kann definitiv sein Statement «Und ich hatte gehofft, hier eine bessere Version von mir selbst zu finden.» zu Protokoll gegeben werden, was bei aller vermeintlichen Flachserei nicht eines gewissen Körnchens Wahrheit entbehrt.

Erst nach ihm kann Michael Burnham als eigentlicher Serien-Star ins Feld geführt werden. Während sie anfangs eine eher untergeordnete und passive Rolle spielt, steigert sie sich ab jenem Moment, an dem sie die sichere Discovery verlässt, um an Bord der ISS Shenzou den Geistern ihrer Vergangenheit zu begegnen. Ihren zweifellos größten Moment hat der Charakter, als sie zum zweiten Mal Danby Connor beim Sterben zusehen muss – und dieses Mal gezwungen ist, den Dolch eigenständig in den Körper des jungen Mannes zu rammen. In großartiger Manier zeigt sie inmitten einer von Brutalität beherrschten Umgebung eine schmerzhafte Menschlichkeit, die mehr als jede Dialogzeile den Gegensatz zwischen ihrer Zeitlinie und dem Spiegeluniversum verdeutlicht.

Zu den Gewinnern wird man wohl auch Sylvia Tilly zählen können, die eine ähnliche Transformation durchmacht: Während sie zu Beginn eher als billiger Gag-Lieferant dient, entwächst sie durch die erzwungene Inbesitznahme des Kommandostuhls ihrer verantwortungsarmen Kadettenrolle und muss einen Teil der Handlung auf ihren Schultern tragen. Das lohnt sich vor allem für die Schauspielerin Mary Wiseman, die an dieser Stelle einmal durchschimmern lassen konnte, zu was für einer Darstellungsbandbreite sie fähig ist.

Auch Tyler erreicht endlich jenen Punkt, auf den er seit seiner Platzierung in der Serie hingearbeitet hat: Er offenbart sich als Voq – auch wenn  dieser Verwandlungsprozess beileibe nicht so reibungslos über die Bühne geht wie von L’Rell geplant. So leidet der vermeintliche Sicherheitsoffizier an den Nachwehen der eigenen Selbstfindung und Shazad Latif spielt diese Zerrissenheit mit allen Höhen und Tiefen so grandios, dass man als Zuschauer zwischen Abscheu, Mitleid und Schock schwebt. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle, die allerdings am Umstand leidet, dass der Shockfaktor dieser Enthüllung durch die Spürnase zahlreicher Anhänger bereits im Vorfeld bis zur Unkenntlichkeit abgemildert wurde.

Last but not least bleibt Doktor Hugh Culber zu nennen, der in dieser Folge plötzlich so viel Platz erhält wie nie zuvor (und ihn auch in einigen beeindruckenden Szenen auszunutzen versteht). Sein überraschender Tod, der das Versprechen auf ein «Game of Thrones» im Star-Trek-Gewand nochmals einlöst, erfährt nun von vielen Seiten massive Schelte.
Auf der einen Seite etwa steht die Kritik, dass damit ein Klischee bedient würde, das homosexuellen Paaren auf der Mattscheibe kein anhaltendes Glück vergönnt sei.

Andere wiederum beschweren sich, dass Culbers plötzliches Ableben vor allem deshalb keinen Sinn hätte, weil er für die Handlung keinen Beitrag leistete und ohnehin nur ein kleinerer Nebencharakter gewesen sei.
Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen, auch wenn ich an dieser Stelle einmal einwerfen will, dass der Tod nicht wählerisch ist. Tylers Kapitalverbrechen war aus seiner Perspektive durchaus nachvollziehbar, im Vergleich zu anderen Main-Cast-Abberufungen (ich erinnere nur an Tasha Yar, Jadzia Dax oder Trip Tucker) dramaturgisch sinnvoller eingearbeitet und drehbuchtechnisch werden mit seinem tragischen Ableben die Karten noch einmal neu gemischt. Die Figurenbeziehungen werden urplötzlich wieder auf den Kopf gestellt und ein anderes großes Versprechen, dass die Produzenten vor Serienstart gaben, erhält neuen Aufwind:
Konflikten zwischen den Charakteren mehr Raum zu gewähren.

Insofern mag der Abgang des Mediziners sicher mehr Schockmoment geboten haben als die Enthüllungen um Tylers Identität, doch sie bergen genug Potential, um den eigenen Ansprüchen der Serie gerecht zu werden. Und allen, die diesen unerwarteten Mord noch nicht verdaut haben, sei an dieser Stelle verraten, dass die Produzenten bereits offen angekündigt haben, dass Doktor Culber mitnichten «hundert Prozent tot» sei.

Der Fokus auf diese fünf Stützen der Episode lässt natürlich andere Figuren etwas in den erzählerischen Hintergrund abdriften. In diesem Zusammenhang sind zweifelslos L’Rell, Paul Stamets, Connor oder Saru zu nennen, auch wenn es ihnen gelingt, in der wenigen Zeit, die ihnen vergönnt blieb, kleinere Ausrufezeichen zu setzen. Im Orchester der Großen spielen sie aber dennoch nur die zweite Geige.

Location, Location, Location!

Tadaa! Das Spiegeluniversum.

Zugegeben; «Despite Yourself» symbolisiert in puncto Handlungsort wohl eher etwas Zucker für die Fans, der in erster Linie dazu dient, eine Nostalgie und Faszination heraufzubeschwören, der sich vor allem altgediente Fans nur schwer entziehen können. Das Spiegeluniversum gehört zu den Lieblingsschauplätzen der Star-Trek-Anhänger und seine Popularität erstreckt sich nicht umsonst über mehrere Star-Trek-Serien hinweg.

Diesen Zauber lenkt die Leidenschaft der Fans in lediglich zwei mögliche Richtungen:
Entweder man hasst diese Folge, weil sie mit den vorherigen Exkursionen in diese Zeitlinie nicht konkurrieren kann oder man ist so angetan vom sentimentalen Déjà-Vu-Erlebnis, dass man über die vielen Unzulänglichkeiten (das veränderte Imperiums-Symbol, die nie zuvor erwähnte Union von Andorianern, Vulkaniern und Klingonen sowie der viel weniger aufreizende Kleidungsstil) hinwegschauen kann.

Ich persönlich tendiere dazu, die Visualisierung des Spiegeluniversums (trotz ihrer Fehler) als durchaus gelungen zu betrachten, denn «Despite Yourself» gelingt es tatsächlich, das Feeling einer uns völlig gegensätzlich ausgerichteten Menschheit zu transportieren. Nicht ohne etwas Scham gestehe ich, dass mir noch immer das Herz pocht, wenn ein mir bekannter Charakter oder seine Entsprechung plötzlich die Hand von sich streckt und dem terranischen Imperium eine glorreiche Zukunft wünscht. Aber auch wenn ich im Grunde weiß, dass es nichts anderes ist, als ein Stück Zucker, dass mir vor die Füße geworfen wird, verfehlt das bei mir nicht die anvisierte Wirkung.

Aber die Empfindung eines von Nostalgie geblendeten Altfans ist nicht zwangsläufig ein Garant für Erfolg. Erfahrungsgemäß ist gerade für Neueinsteiger das ungewohnte Terrain dieser alternativen Zeitlinie holprig und vergleichsweise schwer zugänglich. Daher wird sich vor allem in der kommenden Folge zeigen müssen, wie es den Autoren gelingt, aus der anderen Seite des Spiegels mehr herauszuholen als die Erinnerungen an alte Folgen anderer Serien. Dort wird Discovery zeigen müssen, ob es in dieser Realität ebenso einen bleibenden Eindruck hinterlassen kann, wie zuvor die Originalserie, Deep Space Nine und Enterprise.

Mut zur Lücke.

Die haben CBS und Netflix bereits bewiesen, indem sie zwischen der Ausstrahlung der vorangegangenen Folge und dieser eine so große Zeitspanne vergingen ließen. Der Rückblick war nach dieser langen Wartezeit daher absolut sinnvoll.
Mut zur Lücke kann man aber auch darin sehen, dass «Despite Yourself» weniger für sich allein, als vielmehr als erster Part eines klassischen Zweiteilers steht. Schon allein deswegen ist er eigentlich schwer zu bewerten.

Doch es gilt noch mehr zu erwähnen als nur Ausstrahlungsdetails, denn erstmals in der Geschichte Star Treks stirbt ein Mitglied der Main Crew durch die Hand eines anderen Mannschaftsmitgliedes, dessen Schauspieler im Vorspann namentlich erwähnt wird.

Da aber liegt in meinen Augen der Hauptverdienst der Folge. Sie erinnert uns durch die Lücke, die der Tod Culbers gerissen hat daran, dass (abgesehen von Burnham) kein Charakter davor gefeit ist, im Verlaufe einer Folge das Zeitliche zu segnen. Genau dieser Aspekt trägt für mich die Spannung der Serie und schüttelt jenes in Langeweile mündende Gefühl ab, dass den von Hauptdarstellern gespielten Figuren ohnehin nichts passieren kann (außer natürlich, die entsprechenden Schauspieler wollen am Staffelende aussteigen). Culbers Tod ist, auch wenn er vielleicht nicht zu den ganz großen Namen im Reigen der Hauptfiguren zählen mag, eine leise Erinnerung daran, dass ein ähnliches Schicksal früher oder später auch Lorca, Tyler oder Stamets ereilen kann.

Hommage an den Kanon.

«Die Vorstellung von Parallelwelten gibt es bekannterweise schon seit dem zwanzigsten Jahrhundert.»
Gabriel Lorca

Stimmt.
Zum Beispiel wurde das Prinzip in dieser Epoche hinlänglich bei Star Trek behandelt!

Nein, (schlechter) Scherz beiseite, die Anspielungen auf den Kanon und vorangegangene Serien waren natürlich kaum zu übersehen – und dabei spreche ich noch nicht einmal von den typischen Ausstaffierungen für das Spiegeluniversum, die von Dolchen, erddurchbohrenden Schwertern oder Agonie-Zellen reichen.

Nein, es sind eher Elemente wie das an «Enterprise» angelehnte vulkanische Schiff, die an die Originalserie angelehnte gelbe Datenkarte Doktor Culbers oder die Wartungsfähre, die in ähnlicher Form meiner Erinnerung nach zum ersten Mal in der «Technik der USS Enterprise» zu sehen war.

Höhepunkt dieser spielerischen Verbeugungen war jedoch der schottische Akzent, mit dem der (aus Liverpool stammende) Brite Jason Isaacs hier an einen der bekanntesten Chefingenieure der Franchise erinnerte.

Star-Trek-Veteran Jonathan Frakes leistet mit seiner ersten Star-Trek-Arbeit seit zwanzig Jahren ein stabiles Regiedebüt, auch wenn er stilistisch an ein anderes Star Trek anknüpft. Frakes macht nämlich nahtlos da weiter, wo J.J. Abrams vor fünf Jahren aufgehört hat – inklusive Wackelkamera und Lensflares. Natürlich schafft er es auch, einige eigene Akzente zu setzen (z.B. der Transporterraumwechsel von der USS Discovery zur ISS Shenzou), aber thematisch schert er nicht in nennenswerter Weise aus der Inszenierungstradition heraus, die «Discovery» von Ausstrahlungsanfang an prägt.

Mein Lieblingsmoment ist übrigens ein vergleichsweise unauffälliger Augenblick.
Als nämlich Burnham an Bord der ISS Shenzou die Stiefel auszieht.

Was nach einer eher zufälligen Geste aussieht, ist für mein Empfinden eher clever iniszenierte Absicht, denn in der Originalserie gibt es ein einziges Mal eine ähnliche Szene (wenn auch gespiegelt) zu sehen. Als Kirk sich sein Schuhwerk in «Was summt denn da?» anzog, wollte man dem konservativ-christlichen Publikum in Amerika auf diese Weise subtil zu verstehen geben, dass Kirk gerade Sex mit der Scalosianerin Deela hatte. Es blieb – trotz der vielen angedeuteten Affären Kirks – die einzige derartige Andeutung bei Star Trek und ich glaube nicht, dass es sich um einen Zufall handelte, dass wir eine gespiegelte Version davon in «Despite Yourself» miterleben konnten, bevor Burnham und Tyler wild auf dem Bett des Captain herumknutschten (um kurz darauf ihre Jungfräulichkeit zu verlieren).

Sollte dies der Fall gewesen sein, so war es ohne Frage die bislang stilvollste Referenz auf die ursprünglichste aller Star-Trek-Serien.

IV. Kritikwürdige Aspekte.

Logiklöcher und Kanonbrüche.

Abgesehen von den üblichen Verdächtigen wie dem zeitlich unpassenden Schiffsdesign, dem nicht minder unpassenden Äußeren der Klingonen und der erst recht nicht zeitgemäßen Technologie (Zauberspiegel, Holokommunikation, holografische Bedienelemente), die in vorangegangenen Rezensionen zur Genüge besprochen wurden, komme ich auch dieses Mal nicht umhin zu bemerken, dass es wiederum reihenweise Logiklöcher und Kanonbrüche gibt.

Schon in der Anlage des Spiegeluniversums setzt sich die Ignoranz der Seriendesigner gegenüber den klassischen Vorbildern fort. Mal abgesehen von Killy-Tillys etwas arg kometenhaften Aufstieg – es gibt plötzlich eine nie angedeutete Allianz aus Andorianern, Vulkaniern und Klingonen, die scheinbar jener aus Klingonen und Cardassianern als Vorläufer dient. Der knappe Bekleidungsstil des Universums wurde durch eine rüstungsähnliche Montur ersetzt, die nicht nur weit weniger ansehnlich ist, sondern auch erahnen lässt, wie schwer der Fahrstuhlkampf zwischen Burnham und Connor für die Darsteller gewesen sein dürfte. Und das Symbol des Spiegeluniversum erhielt eine so drastische Rundumerneuerung, dass man die Traditionslinien zwischen Enterprise und TOS gleich mit ausradierte. Stattdessen trieb man die Verwendung von Spiegeln und Spiegelungen so sehr auf die Spitze, dass wirklich jedes Erdenemblem falsch herum ist (was wirklich keinen Sinn ergibt).

Den zweiten großen Knackpunkt sehe ich in der Constitution-Klasse. Die USS Defiant des Spiegeluniversum dürfte auf keinen Fall so aussehen, wie in «Discovery» gezeigt, da in der Enterprise-Doppelfolge «Im dunklen Spiegel» deutlich mehr Einfühlungsvermögen für die Optik des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts gezeigt wurde, als es jemals in dieser Serie der Fall war. Aber zum Glück könnte man sich ja so rausreden, dass es sich in Ermangelung von Informationen um Archivaufnahmen aus der eigenen Schiffsbibliothek handelte.

Daneben gibt es reihenweise Unstimmigkeiten in der Handlung, die an ihrer Glaubwürdigkeit zerren.
So erklärt sich mir trotz Schweigegelübdes nicht, warum Dr. Culber kein Sicherheitsteam anfordert, als er eine klingonische Manipulation bei Tyler feststellt. Mal ganz abgesehen davon, dass er zwar nicht der Chefarzt ist, aber trotzdem der einzige Mediziner auf der gesamten Krankenstation zu sein scheint.

Ebenso allein scheint Tyler auf der Brig der USS Discovery zu sein. Oder Tilly im Maschinenraum. Wer ist eigentlich der Chefingenieur in Abwesenheit Stamets›?

Zudem ist mir noch nicht so ganz klar, ob nun Tylers Persönlichkeit auf einen zum Menschen veränderten Voq liegt oder Voqs Persönlichkeit auf einem originalen Ash Tyler?

Falls ersteres der Fall ist: Warum erkennt der Medinziner Culber dann nicht bei seinen neuen, viel gründlicheren Scan die ursprüngliche DNA des Klingonen? Oder wurden sämtliche Knochen und (doppelten) Organe ausgetauscht? Und falls zweiteres der Fall ist: Wozu muss ihm dann jeder Knochen gebrochen werden?

Es bleibt immerhin zu hoffen, dass zumindest die letzten Fragen in den kommenden Episoden zu unserer Zufriedenheit beantwortet werden…

Moralität.

So schön das Spiegeluniversum auch ist, so eintönig erscheinen inzwischen auch die durchgekauten Metaphern, die mit solchen Reflektionen einhergehen.

Was sind wir wirklich? Was macht uns aus?

«Despite Yourself«, auf deutsch am ehesten «Abgesehen von Dir selbst«, stellt diese Frage schon in seinem Folgentitel und entsprechend lässt sich dieses Motiv auch an den meisten Beteiligten ablesen.
Bei Burnham stehen sich Gegenwart und Vergangenheit gegenüber, bei Tyler duelliert sich eine menschliche mit einer klingonischen Hälfte um die Vorherrschaft, Stamets bewegt sich zwischen Zurechnungsfähigkeit und Wahnsinn und Lorcas Persönlichkeit hat so viele Facetten, dass man sie ohnehin nie klar fassen kann.

Über allem steht natürlich die Frage, die aufkommt, seitdem das Spiegeluniversum erstmals bei Star Trek eingeführt wurde:
Sind wir wer wir zu sein glauben oder ein Produkt der äußeren Umstände?

Sind die vermeintlich gegensätzlichen Identitäten wirklich so abwegig wie sie anfangs scheinen?

Diese Frage nach eigener Identität lässt sich am ehesten noch in Sylvia Tillys Erfahrungen ablesen. Wirklich neu ist das allerdings nicht. Wie bereits erwähnt wurden diese Fragen schon in anderen Spiegeluniversumsfolgen so ausführlich behandelt, dass sie inzwischen etwas hohl und verbraucht wirken.

Lorcas halbherziger Versuch, das Spiegeluniversum und die Rolle jedes Individuums an Begriffe wie Vorhersehung, Schicksal oder Bestimmung zu koppeln, wirkt in diesem Zusammenhang vergleichsweise bemüht und wiederspricht ein wenig dem gängigen Sujet Star Treks, dass jeder Mensch für sein eigenes Handeln eigenverantwortlich ist. Immerhin bildet Burnhams Opposition zu diesem Gedanken einen Lichtblick in Bezug auf kommende Episoden.

V. Synchronisation.

Die Zeichen stehen auf Abschied von Benjamin Stöwe, auch wenn nicht zuletzt wegen der deutschen Stimme zu hoffen bleibt, dass der Doktor noch einmal, zweimal oder gar noch öfter auftreten wird.

Ansonsten gibt die deutsche Synchronisation ein gemischtes Bild ab. Sie wechselt munter zwischen guten, holprigen und inhaltlich veränderten Übersetzungen, wodurch z.B. manche Dialoge vergleichsweise unbeholfen und bruchstückhaft wirken (z.B. in der Brig der Discovery oder im Bereitschaftsraum des Captains). Zudem geht der schottische Dialekt in der deutschen Übertragung traditionsgemäß völlig unter.

Desweiteren stört mich vor allem, dass die schlecht gewählten deutschen Episodentitel (wie kann man aus «Despite Yourself» allen Ernstes «Nur wegen Dir» machen?) nur selten rechtzeitig zur Erstausstrahlung der Folge zur Verfügung stehen. Das nervt nicht nur deutschsprachige Zuschauer, sondern auch Rezensenten. Ein wenig kommt der Verdacht auf, dass beim englischsprachigen Streamingdienst Netflix fremdsprachigen Inhalten keine größere Bedeutung beigemessen wird.

VI. Fazit.

«Despite Yourself» ist ein wahrer Leckerbissen vor allem für Altfans, der sich nicht darauf ausruht, Nostalgiegefühle zu schüren, sondern auch beginnt, entscheidende Entwicklungen aufzulösen. Die Episode glänzt mit einer Vielzahl von Charaktermomenten für Lorca, Burnham oder Tilly, liebevollen Querbezügen auf den Kanon und wagt es, kontroverse Entscheidungen zu treffen.
Gerade die Idee, einen der Charaktere kurz vor Zieleinlauf zu eliminieren ist ohne Frage mutig, aber definitiv nicht ohne ihren Reiz. So bemühen sich die Schreiber redlich, den eigenen Zielvorstellungen für die Serie zu entsprechen.
Dass sie dabei sprichwörtlich über Leichen gehen, zeigt sich aber auch darin, dass ihnen selbst das Spiegeluniversum nicht heilig ist. Auch ihm drücken sie den einen fragwürdigen Designstempel auf, allerdings ohne frische philosophische Ansätze zu formulieren. Viel vom Gelingen dieser Folge hängt jedenfalls vom Erfolg der nächsten ab, für die «Despite Yourself» eher als erster Teil dient.

VII. Schluss.

Nach dem Schauen ist vor dem Schauen.
Wieder sind der Spekulation Tür und Tore geöffnet.
Was treibt die Discovery derweil in der originalen Zeitlinie?
Wer könnte jener gesichtslose und grausame Imperator sein? (Georgiou natürlich)
Ist Stamets‘ Krankenbettgeflüster wirklich so zusammenhangslos, wie Culber behauptete? (natürlich nicht)
Stammt Lorca aus diesem Spiegeluniversum?

Und vor allem: Hat Lorca die USS Discovery mit Absicht ins Spiegeluniversum verfrachtet?
Wer geglaubt hat, dass den Mutmaßungen der Fangemeinde mit der Enthüllung der Identität Tylers ein Riegel vorgeschoben wurde, dürfte sich eines Besseren belehrt sehen. Stattdessen hebt sich «Discovery» die letzten Rätsel bis zum Schluss auf und bringt die Trekkies dieser Realität auf eine Art und Weise zusammen, wie nie zuvor.

Bewertung.

Ein Spaß für die gesamte Spiegeluniversumsfamilie!

Denkwürdige Zitate.

«Schön, dass Sie sich zu uns gesellen, Mr. Tyler! Es war ja auch nur ein gelber Alarm…»
Captain Gabriel Lorca

«Ich bin am qualifiziertesten, dafür zu sorgen, dass er wieder gesund wird! Wollen Sie überhaupt, dass er wieder gesund wird? Oder wollten Sie, dass all das hier passiert?»
Dr. Hugh Culber zu Lorca

«Das sind keine Nachbarn, die man mal eben um Zucker bittet.»
Lorca über das terranische Imperium

«‹Captain Killy›? Das ist wirklich etwas platt…»
Saru

«Ich habe versucht sie zu verstehen und die Stärke der Terraner ist aus purer Notwendigkeit entstanden. Sie führen ein Leben in ewiger Angst. Immerzu auf der Hut vor dem nächsten, mörderischen Hinterhalt. Ihre Stärke ist übertünchter Rost; nur eine Fassade. Aber Du hast die Stärke einer ganzen Crew die an Dich glaubt. Ziehe Kraft aus unserem Glauben an Dich! So macht ein echter Captain das auch.»
Michael Burnham zu Sylvia Tilly

«So behandeln Sie ihren verlorengeglaubten Captain? Würden Sie mich so begrüßen, würde ich Ihre Zunge rausschneiden und damit meine Stiefel polieren
Tilly zu Captain Danby Connor

«Es war ein harter Kampf Captain zu werden als Sie weg waren. Am Ende hab ich es dann geschafft. Der Imperator hat etwas in mir gesehen.»
«Schön für Sie…»
«Die ganze Crew hat sich nach meinem Sieg verbeugt. Aber nicht tief genug verbeugt!  Nicht so tief wie vor Ihnen. Ich muss sie dazu bringen mich zu fürchten. Und jetzt weiß ich auch endlich wie…»
Connor und Burnham

«Lang lebe Captain Burnham! Lang lebe das Imperium!»
Brückencrew der ISS Shenzou

Besprechung Episode 01 & 02
Besprechung Episode 03
Besprechung Episode 04
Besprechung Episode 05
Besprechung Episode 06
Besprechung Episode 07
Besprechung Episode 08
Besprechung Episode 09

Sebastian Blasek (auch als Turon47 bekannt) ist in selbst seinen späten Dreißigern noch immer ein großer Star-Trek-Fan, nachdem er 1988 das erste Mal “Raumschiff Enterprise” im Westfernsehen sehen durfte. Aufgewachsen in einem Staat den es nicht mehr gibt, wohnt er heute in Potsdam, wo er Deutsch und Geschichte studiert hat. Der anglophile Fußballfan schreibt in seiner spärlichen Freizeit Artikel für die Star-Trek-Tafelrunde “Hermann Darnell” und schläft am Wochenende gern aus.

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