Von Sebastian Blasek
Spoilerwarnung. Diese Rezension enthält massive Spoiler zu «Projekt Daedalus«, der neunten Folge der zweiten Staffel «Star Trek Discovery» und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und vorherige Episoden bereits gesehen hat.
I. Einleitung.
Die Geschichte Star Treks lässt sich in drei Phasen einteilen.
Die erste, die ich an dieser Stelle einmal mit ‹Die Pionierzeit› überschreiben möchte, begann mit der Ausstrahlung der Originalserie und dem Aufbau einer Fanbasis, die eine Absetzung der Serie mit einer beeindruckenden Briefkampagne verhinderte. Nach dem endgültigen Aus nach der dritten Staffel erwuchs in den Wiederholungsausstrahlungen das ursprüngliche Fantum der Serie, die mit der Zeichentrickserie TAS einen eher zweifelhaften Entwicklungsstufenabschluss erhielt.
Die gemeinhin als das ‹Goldene Zeitalter‹ bezeichnete zweite Hochphase der Franchise begann ausgerechnet mit einem Impuls von außen. Erst mit dem kommerziellen Erfolg von Star Wars erinnerte sich Paramount daran, dass man selbst eine Science-Fiction-Reihe in der Schublade zu liegen hatte, die bereits über eine treue Anhängerschaft verfügte. Nach dem Erfolg erster Kinofilme entstand gar eine neue Serie, die das Star-Trek-Universum in einer einhundert Jahre entfernten Zukunft weiterführte, und seinerseits Ableger wie «Deep Space Nine«, «Voyager» oder den Prequel «Enterprise» hervorbrachte.
Nachdem der anfängliche Schwung vor allem in den beiden zuletzt genannten Serien deutlich abgenommen hatte, fiel die Franchise in einen Dornröschenschlaf, der allerdings nur vier Jahre dauerte, bevor die Abrams-Kinofilme einen neuerlichen – wenn auch nicht unumstrittenen – Neuanfang begründeten. Nach drei in einem alternativen Universum angesiedelten Leinwandspektakeln erschien schließlich 2017 eine neue Fernsehserie namens Discovery.
Aber nachdem die dritte Staffel der Serie unlängst in trockene Tücher gebracht wurde, wird klar, dass wir uns keineswegs am Ende der dritten ‹Reboot-Phase‹ befinden, sondern an dessen Anfang. Es wird – vor allem mit Rückendeckung des Streamingdienstes von CBS – an einer Serie über Picard gearbeitet, während zusätzlich ein Spin-Off zur Sektion 31 in Planung ist. Zusätzlich wird eine animierte Serie in «Rick and Morty»-Manier für ein erwachsenes Publikum produziert, während CBS sich unlängst zusammen mit dem Kindersender Nickelodeon auf eine weitere Zeichentrickserie für eine jüngere Zuschauerschicht geeinigt hat. Daneben brodelt die Gerüchteküche um weitere Serien oder Fernsehfilmreihen wie etwa um Nicholas Meyers Khan-Projekt oder die Fortsetzung der Short Treks in animierter Form.
Kurzum: Die ‹Reboot-Phase‹ wird einen Serienausstoß haben, der das Gesamtvolumen der beiden vorherigen Phasen übertreffen wird. Damit wird auch der offizielle Kanon – bislang eine der Achillesversen Discoverys – innerhalb kürzester Zeit aufgebläht werden.
Unter diesem Gesichtspunkt lohnt sich ein genauerer Blick auf die aktuelle Folge besonders, denn anhand der Herangehensweise dieser Serie könnten sich eventuell Rückschlüsse ableiten lassen, wie der abgeschlossene Kosmos, den die Star-Trek-Welt mit seinen vielen Serien und Filmen bislang bildet, in Zukunft gestaltet werden könnte.
II. Story.
Nach ihrem Kurzausflug nach Talos IV wieder auf der Discovery angekommen verschwenden Michael Burnham und ihr Adoptivbruder Spock keine Zeit mit Höflichkeiten und machen nahtlos an der Stelle weiter, an der sie aufgehört haben: Sie werfen sich gegenseitig Anschuldigungen, Verhaltensanalysen und Beschimpfungen an den Kopf, dass die Schachfiguren nur so durch den Raum fliegen.
Dabei steht die Discovery vor viel ernsthafteren Problemen! Bei der Annäherung an das supergeheime Hauptquartier der Sektion 31 muss sie bei gesenkten Schilden mitten durch ein Minenfeld navigieren, das natürlich auf halber Strecke damit beginnt, dem Schiff Welle um Welle gefährlicher Sprengkörper entgegenzuwerfen.
Als es der Crew dennoch gelingt sich der Raumstation zu nähern, um dem dortigen Supercomputer Hal 9000 Control einen unfreiwilligen Wartungsbesuch abzustatten, erlebt der Außentrupp ein blaues Wunder. Nicht nur, dass alle Stationsbewohner grausam zu Tode kamen; ihre sympathische Kollegin Airiam dreht durch und wendet sich in einem unaufhaltsamen Amoklauf gegen ihre eigenen Schiffskameradinnen…
III. Lobenswerte Aspekte.
Charaktermomente.
Will man über die herausragenden Darstellungsleistungen dieser Folge reden, kommt man um drei Namen nicht herum: Michael Burnham, Spock und Airiam.
Sonequa Martin-Green als Michael Burnham bleibt dabei als Hauptfigur der gesamten Serie der größte Raum zur Entfaltung überlassen. Sie darf die Idee zu Rettung des Schiffes im Minenfeld liefern, (kurz vor dem Equal Pay-Day) den ersten vollständig weiblichen Außentrupp seit der TAS-Episode «Das Lorelei-Signal» anführen und sich effektvoll mit Airiam auf einer gruseligen Raumstation prügeln. Richtig zu glänzen versteht sie aber erst, als sie sich wüste Wortgefechte mit ihrem Adoptivbruder Spock liefert.
Fraglos kann man Ethan Peck bei diesen Interaktionen eine ungewohnt emotionale Interpretation seiner Figur Spock vorwerfen, aber andererseits passt diese Entwicklung im Lichte seiner Erlebnisse um den roten Engel, seiner Gefühle um Burnham und seinen Selbstzweifeln als Halbvulkanier erstaunlich gut in den Rahmen. Sein Spock mag einen Bart tragen, erstmals seinen Gefühlen freien Lauf lassen und Schachbretter durch die Gegend werfen, aber er erhellt gleichzeitig auch den Zuschauer mit nachvollziehbaren Einsichten zu Michael Burnham (vgl. Denkwürdige Zitate) und merkwürdigerweise erhält man auch hier den Eindruck, als wäre sein Habitus Teil einer größeren Entwicklung, die gegen Staffelende Klärung finden wird.
Hannah Cheesman als Airiam wird mir tatsächlich fehlen, denn sie war seit der ersten Staffel einer der auffälligeren, mysteriöseren und spannenderen Nebencharaktere der Besatzung. Hier darf sie erstmals die Höhenluft des Hauptdarstellertums schnuppern, nur um am Ende der Folge einen heroischen Abgang hinzulegen. Für die einen mag sich das überhastet angefühlt haben, für mich passte es gut in den Rahmen einer Folge, die sonst nicht viel zu erzählen hatte. Das am Ende gar etabliert wurde, dass sie kein außerirdisches Wesen sondern ein ‹kybernetisch erweiterter‹ Mensch war, deckt sich nicht ganz mit meinen Erwartungen, aber blieb recht gut umgesetzt – zumal es die Chance bot, Cheesman ohne ihre schwere Maske zu erleben.
Der Rest der Darstellerriege hatte zwar jeder mindestens eine gute Szene in petto, aber bei weitem nicht den Raum dieser drei Figuren.
So durfte sich Captain Christoper Pike [Anson Mount] von seiner direkten Vorgesetzten eine ordentliche Portion Honig um das Maul schmieren lassen, wobei die Szene auch von der Produzentenseite her unterstrich, wie wichtig Pike und der mit ihm eng verbundene Star-Trek-Geist für das bisherige gute Abschneiden der zweiten Staffel verantwortlich sein dürfte.
Paul Stamets‹ [Anthony Rapp] denkwürdigste Szene war sein Austausch mit Spock, dem ich eher ankreide, dass sich der Halbvulkanier hier unnötigerweise im unlogischen Bord-Tratsch der Discovery übt, denn für Stamets› Verhältnisse war der Dialog eigentlich nichts Ungewöhnliches.
Bei Sylvia Tilly [Mary Wiseman] habe ich im Moment das Gefühl, dass die Drehbuchautoren nach ihrem Pilzbefall keinen größeren Plan mehr für sie übrighätten. So schwebt sie irgendwo zwischen Pausenclown (bei Admiral Cornwells Ankunft), Supergenie (beim Enttarnen Airiams) und emotionalem Anker (bei ihrer finalen Kommunikation mit Airiam), ohne allerdings an die Bedeutung ihrer besten Freundin Michael heranzureichen.
Ähnliches ließe sich zu Saru [Doug Jones] feststellen, dessen erzählerischer Anteil an dieser Staffel mit seinen Erlebnissen auf Kaminar abgehandelt zu sein scheint. Hier besteht sein größter Beitrag jedenfalls darin, seine plötzlich seit Staffelbeginn etablierten Supersehfähigkeiten erneut unter Beweis zu stellen.
Admiral Katrina Cornwell [Jayne Brook] bleibt ein wenig blass und wirkt in ihrer Position ständig überfordert, zumal ihre Zweifel an Spocks Unschuld keine allzu großen Konflikte heraufbeschwören, die ihr vielleicht ein wenig mehr Gelegenheit geboten hätten, ihr Können unter Beweis zu stellen.
Eine der positivsten Überraschungen bot die Barzanerin Nhan [Rachael Ancheril], die nicht nur Airiams Machenschaften argwöhnisch beobachtet, sondern auch das Außenteam begleitet und letztendlich dafür Sorge trägt, Airiam auch wirklich aus der Luftschleuse zu katapultieren. Als es für einige Momenten tatsächlich so aussah, als würde sie diejenige sein, die in dieser Episode das Zeitliche segnen würde, war ich für einen Moment wirklich emotional kompromittiert.
Wann immer der Raum für Einblicke in Airiams Leben frei war, gelang es auch einigen Crewmitgliedern, Lebenszeichen jenseits von einer einzigen Dialogzeile zu liefern. Besonders Kayla Detmer [Emily Coutts], Joann Owosekun [Oyin Oladejo] oder Gen Rhys [Patrick Kwok-Choon], die ihr nicht nur Kollegen, sondern Freunde spielen, dürften sich über die erhöhte Aufmerksamkeit gefreut haben.
Gar nichts zu sehen ist in dieser Episode hingegen von Ash Tyler, Hugh Culber oder Doktor Pollard – die wohl zugunsten anderer Figuren ins Hintertreffen gerieten und einfach völlig ausgelassen wurden. Das mutet vor allem bei den Entwicklungen um die beiden erstgenannten Personen etwas merkwürdig an, aber bei einer Folgenlänge von über fünfzig Minuten musste man wohl oder übel den Rotstift ansetzen. Immerhin suggeriert eine Erinnerungsdatei Airiams zu Jett Reno, dass auch diese Figur nochmals auftreten könnte.
Back to the Roots.
Wer gedacht hätte, dass viel mehr Rückbesinnung auf die Star-Trek-Inhalte vergangener Tage als in der letzten Folge nicht geht, wird tatsächlich eines besseren belehrt – und ich meine damit noch nicht einmal die vereinzelten Anspielungen auf Kadis-kot, die 47 oder dreidimensionales Schach, die hier hin und wieder zu finden waren.
Nein, der Ansatz dieser Folge huldigt dem Original schlichtweg weniger mit der talosianischen Brechstange, als es «Gedächtniskraft» letzte Woche noch tat, sondern widmet sich stattdessen in gekonnter Manier einer traditionsreichen Thematik der ersten Star-Trek-Stunde:
Dem durchgeknallten Computer als Widerspruch zur menschlichen Existenz.
Schon in der Originalserie war diese Thematik mit Folgen wie «Landru und die Ewigkeit«, «Computer M5» oder «Ich heiße Nomad» ein ständig wiederkehrendes Thema; ein Dauerbrenner der mit der Einführung von künstlichen Intelligenzen wie Data oder dem MHN der Voyager sogar beständig ausgebaut wurde. Nun nimmt sich Discovery dieses roten Fadens an und spinnt ihn in spannender Weise weiter.
Außerdem hat mit Jonathan Frakes am Regie-Ruder vom «Projekt Daedalus» ein verdienter Veteran das Sagen, der hinlänglich mit der Materie vertraut ist. In seiner Arbeit lassen sich deutliche Anleihen an dem ebenfalls von ihm betreuten achten Kinofilm erkennen (etwa beim Umherwerfen der Schachfiguren, das wohl nicht ganz zufällig Ähnlichkeiten mit Picards Ahab-gleicher Aggression gegen seine ‹Schiffchen‹ aufweist) oder dem sechsten Kinofilm (die umherschwebenden Blutstropfen auf der Station in Kombination mit den Magnetstiefeln).
Sogar Spocks geschwisterliches Schachspiel erinnert an «Kirk unter Anklage«, wo seine scheinbar nicht in die Situation passende Spontanpartie Unstimmigkeiten innerhalb des Schiffscomputers der USS Enterprise aufdeckt. In dieser Folge hingegen entlarvt das Spiel allerdings deutliche Unstimmigkeiten in Spock selbst, denn nur selten war eine derart emotionale Seite seiner selbst erlebbar.
Vor allem aber markiert diese Folge eine Trendwende in der serieneigenen Politik. Als Discovery nämlich antrat, die Star-Trek-Franchise in ihren Grundfesten zu erschüttern, orientierten sich die Produzenten noch dahingehend am Erfolgsmodell «Game of Thrones«, dass sie keiner der Figuren eine Überlebensgarantie ausstellten. So sahen wir in der ersten Staffel Georgiou, Culber und Lorca den Leinwandtod sterben, was bei den Star-Trek-Anhängern auf nur wenig Gegenliebe stieß.
Und so folgte (neben vielen anderen Änderungen) mit der zweiten Staffel eine historische Kehrtwende.
Nicht nur, dass der Publikumsliebling Hugh Culber (allerdings unter sehr fragwürdigen Umständen) wiederauferstand; die Umstände des Todes der kybernetisch erweiterten Airiam wirkten ebenfalls eher in einer Traditionslinie mit diversen Star-Trek-Serien-Vorbildern wie Sito Jaxa, Enrique Muniz oder Mortimer Harren. Ihre Schicksale wurden vorrangig im Rahmen einer einzigen Folge näher beleuchtet, um dann heldenhaft in Selbstaufopferung das Zeitliche zu segnen. Das ist ohne Frage vielleicht nicht mehr ultramodernes Fernsehen und ganz gewiss hätte man mehr Zeit dafür aufbringen können, die Bindung zwischen Zuschauer und Figur aufzubauen, aber ich ganz persönlich hatte damit weniger Probleme, als mit dem plötzlichen Ableben liebgewonnener Mitglieder der Hauptdarstellerriege, der die Serie schon einmal mit den Fans entzweite.
Mit diesem Paradigmenwechsel hat Discovery letztendlich eine Kluft zu ihren Vorgängern überwunden und nicht nur vertraute Sehgewohnheiten aufgegriffen, sondern auch tatkräftig unter Beweis gestellt, dass die noch junge Serie auf dem den Fans zugewandten Ohr nicht völlig taub ist.
Womit natürlich nicht gleich gemeint ist, dass man Hannah Cheesman nun wie Wilson Cruz zuvor wieder zurückholen sollte. Airiam starb einen denkwürdigen Heldentod, den man nicht durch eine überhastete Wiederauferstehung ruinieren sollte, die zusätzlich das ohnehin belastete Glaubwürdigkeitskonto der Serie belasten würde…
Strickmuster.
Die Regisseure, Drehbuchautoren und Produzenten der Serie mögen kommen und gehen, aber inzwischen merkt man jeder einzelnen Episode an, dass sie nach ein- und demselben Grundrezept angerichtet sind.
In der Zutatenlisten finden wir aufwändige Kamerafahrten genauso wieder wie opulente CGIs, blendend grelle Lensflares, spannende Entwicklungen und einen angenehm dezenten Soundtrack.
Garniert wird das Ganze dann mit einer gepfefferten Gewürzmischung aus seichten Horrorelementen (Gefrierleichen, Amok-Roboter und Killer-Computer), knackigen Zweikampfszenen (die mich allerdings zuweilen an Bud Spencer und Terence Hill oder Kirk-Fu denken ließen) und etwas an den Haaren herbeigezogener Weltraum-Action (vgl. Kritikwürdige Aspekte).
Da die eigentliche Haupthandlung – der Anflug und die Landung an einer Raumstation – inhaltlich und erzählerisch nicht das Niveau des ungleich gehaltvolleren Vorgängers zu halten vermag, liegt der Fokus verstärkt auf den unausweichlichen Charaktermomenten, die mit solcher Handlungsarmut zumeist einhergehen, wobei abermals Konflikte den Geschmack bestimmen:
Spock reibt sich an Burnham, Nhan stalkt Airiam und überhaupt befindet sich die Discovery im Dauerclinch mit den vermeintlichen Kameraden der Sektion 31. Dabei bleibt viel Raum für gute (z.B. zwischen Spock und Burnham), mittelprächtige (Spock und Stamets) und gar schwache Wortwechsel (Tilly und Cornwell) – was leider oft zulasten des Tempos einer Folge geht, der es erst im letzten Drittel gelingt an Fahrt aufzunehmen.
Dabei bleibt man einem größerem Rahmen treu.
Wirklich nichts scheint aus Zufall zu geschehen: Das unerwartete Aufeinandertreffen der Discovery mit der sterbenden Sphäre ist genauso eng mit der Haupthandlung von «Projekt Daedalus» verzahnt wie die falschen Mordanschuldigungen gegen Spock oder die folgenweise gesteigerte Aufmerksamkeit für Airiam.
Zudem warten einige Fragen noch immer auf ihre dazugehörigen Antworten.
In welchem Zusammenhang steht das Auftauchen des roten Engels mit den roten Signalen?
Warum ist Spock der auserkorene Lieblingsgesprächspartner des zeitreisenden Wesens?
Wer verbirgt sich hinter dem roten Engel?
Und:
Deutet der angebissene Apfel, der zwischen den Blutstropfen auf der Sektion-31-Basis herumschwebte, eventuell auf die Anwesenheit Georgious während der Morde an den Admiralen hin oder steht er eher symbolisch für den Sündenfall der toten Führungskräfte?
Abermals sind den Spekulationen der Fans Tür und Tore geöffnet…
IV. Kritikwürdige Aspekte.
Burnham als Nabel des Universums.
Ich habe einen Angstsatz in dieser Folge. Er stammte aus dem berufenen Munde Airiams kurz vor ihrem Tod, war an Michael Burnham gerichtet und lautete:
«Das alles geschieht nur Deinetwegen!»
Ich kann nur – wider besseren Wissens – hoffen, dass diese Aussage NICHT auf die Identität des roten Engels bezogen ist. Denn wie schon Spock richtig anmerkte, scheint Burnham der Fixpunkt zu sein, um den sich das ganze Universum dreht.
Ein Krieg zwischen Klingonen und der Föderation?
Burnham ist Schuld!
Der Fackelträger der Klingonen schlüpft in Menschengestalt und nutzt seine Position aus Liebe zu einer Frau doch nicht aus?
Burnham ist Schuld!
Philippa Georgious Spiegeluniversums-Abbild wird in dieses Universum gebracht?
Richtig; Burnham ist Schuld!
Darüber hinaus ist sie die nie zuvor erwähnte Adoptivtochter Sareks, ihr Spiegeluniversums-Gegenstück die innig geliebte Adoptivtochter der Imperatorin, sie wird von jedem ihrer Captains abgöttisch verehrt und ihre ach so cleveren Ideen retten pro Folge mindestens einmal den tristen Tag.
Statt diesem egozentrierten Unsinn mit dem Neustart zu Beginn der zweiten Staffel (die eigentlich in bester Star-Trek-Manier die gesamte Crew mehr in den Mittelpunkt rückt) ein Ende zu setzen oder wenigstens mehr Zurückhaltung walten zu lassen, legen die Autoren nun noch munter ein paar Schippen voll Unglaubwürdigkeit drauf: Burnham findet natürlich ihren Bruder Spock, leitet natürlich dessen Heilung auf Talos IV ein und hat natürlich auch noch die richtige Idee zum Umgang mit dem gefährlichen Minenfeld dieser Folge parat.
Daran ist allerdings nicht die sympathische Darstellerin Sonequa Martin-Green schuld, sondern der Übereifer einer Schreiberriege, der maßgeblich dazu beiträgt, die Figur für den Zuschauer noch unnahbarer, noch unglaubwürdiger und noch künstlicher zu machen. Dass eine Enthüllung wie ‹Michael Burnham steckt auch hinter dem roten Engel‹ dem Charakter in irgendeiner Form gut tun würde, darf an dieser Stelle zumindest bezweifelt werden.
Logiklöcher und Kanonbrüche.
«Schießt doch einfach!»
Jede Faser meines Körpers schrie förmlich in Verzweiflung diesen einen Satz in die Ohren der unempfänglichen Discovery-Brücken-Crew, als sie vor dem Hauptquartier der Sektion 31 auf ein Minenfeld stieß.
Nur zur Erinnerung: Die Minen waren weder getarnt, noch selbstreplizierend und ein paar wohl platzierte Photonentorpedos oder ein Phaser-Streufeuer hätten dem Schiff nicht nur den unsinnigen Höllentrip durch diese sinnfreie Todesfalle erspart, sondern auch viel weniger Zeit und Nerven gekostet.
Man konnte fast den Eindruck gewinnen, als hätten die Verantwortlichen dieses Logikloch zum Wohle eines schlecht konstruierten Spannungsbogens billigend in Kauf genommen und darauf verzichtet, zumindest im Ansatz eine fadenscheinige Erklärung wie «Die folgende Explosion würde etwaige Überlebende auf der Station gefährden» zu liefern.
Und überhaupt – Minen sind in der Föderation keineswegs so verboten wie Saru es uns hier glauben machen will. Immerhin hat Captain Benjamin Sisko damit den Eingang zum bajoranischen Wurmloch gesperrt und William T. Riker (immerhin vom Regisseur Jonathan Frakes gespielt) legte damit im Zweiteiler «Geheime Mission auf Celtris III» eine ganze cardassianische Flotte lahm, die hinterhältig in einem Nebel lauerte.
Aber vielleicht fand dahingehend ja im Jahrhundert dazwischen ein Wandel in der Wahrnehmung dieser Waffensysteme statt.
In eine ähnliche Kerbe schlägt der scheinbare Widerspruch, dass die Serie zu Beginn der zweiten Staffel im Lichte des größeren Kanons zwar die Verwendung von Holografie-basierter Kommunikation auf der Enterprise verneinte und auf der Discovery arg zurückfuhr, aber nun täuschend echt wirkende holografische Fälschungen als handlungstragende Elemente einführt. Das geschieht immerhin zu einer Zeit, die mehr als einhundert Jahre vor TNG liegt, wo diese Technologie erstmals in einem größeren Rahmen genutzt wurde. Zumindest kann man sich zumindest in diesem Punkt dadurch herausreden, dass Sektion 31 exklusiven Zugang zu fortschrittlicher Technologie zu haben scheint, wie man an den Kommunikatoren in «Die Heiligen der Unvollkommenheit» sehen konnte, die ja eigentlich auch erst im ‹nächsten Jahrhundert‹ der breiten Masse an Sternenflottenoffizieren zugänglich gemacht wurde (das die extensive Verwendung kybernetischer ‹Erweiterungen‹ ähnlich problematisch ist, sei an dieser Stelle nur am Rande erwähnt).
Ansonsten zeigte sich abermals der theatralische Hang zur Übertreibung, der sich bei Discovery stets dann offenbart, wenn eine Folge durch einen Cliffhanger beendet werden muss. Nachdem wir am Ende der letzten Episode erfahren durften, dass die Discovery ad hoc zum ‹meistgesuchten Schiff der Galaxis‹ erklärt wurde, blieb «Projekt Daedalus» den Beweis für diese sehr gewagte Hypothese schuldig. Die Besatzung ergriff jedenfalls keinerlei Vorsichtsmaßnahmen beim Flug in die Höhle des Sektion-31-Löwen, muss sich nicht mit anderen Sternenflottenschiffen auseinandersetzen und lässt sich während der Flucht gar von einem hochrangigen Admiral besuchen.
Cornwells mittlerweile gefriergetrocknete Amtskollegin Patar konnte für eine Logikextremistin eine beachtliche Karriere in einer so multikulturellen Truppe wie der Sternenflotte hinlegen, vor allem wenn man bedenkt, dass ihre Gesinnung keinesfalls ein gut gehütetes Geheimnis war.
Warum man auf der Discovery – die laut eigener Aussage jederzeit in der Lage gewesen wäre, das Außenteam zurück an Bord zu beamen – nicht einfach die außer Kontrolle geratene Airiam in eine Gefängniszelle transportiert oder zumindest selbst in die Kälte des Alls geschickt hat, bleibt ein weiteres Geheimnis der Autoren.
Schließlich hat mich auch gewundert, warum der schiffseigene Universalübersetzer nicht eingesprungen ist, als Spock ein vulkanisches Sprichwort zitierte. Aber auch hier hat wohl – wie ein wenig zu oft in dieser Folge – die Logik dem Effekt gegenüber den Kürzeren gezogen.
V. Fazit.
«Projekt Daedalus» schafft es nicht, die Qualität seines Vorgängers zu halten und kann – bei ähnlicher Folgenlänge – auch inhaltlich nicht mit dem Erzählfeuerwerk der letzten Woche Schritt halten.
Dennoch ist es keine schlechte Episode! Sie bezieht sich einfach in subtilerer Form auf die reichhaltige Star-Trek-Historie, hält das hohe Produktionsniveau aufrecht und verschafft in Freundschaft, Streit und Tod dem Zuschauer den ein oder anderen denkwürdigen Charaktermoment.
Großes Manko bleiben aber weiterhin die riesigen Logiklöcher und Kanonbrüche, die Discovery abermals in einem festen Griff halten.
Bewertung.
Qualitätsarbeit mit den üblichen Abstrichen.
VI. Schluss.
Ich sehe schwarz.
Nicht, dass es keinerlei Bemühungen geben würde, Kanon-Informationen in einzelnen Folgen, episodenübergreifenden Handlungsbögen oder gar Charakteren einzubetten, doch noch stellt sich Discovery mit erschreckender Regelmäßigkeit zu jeder Folge selbst ein Bein. Während viele Kritikpunkte der ersten Staffel überwunden, abgeschwächt oder zumindest ausgelassen wurden, bleibt der stiefmütterliche Umgang mit dem offiziellen Kanon und Logiklöchern eine Begleiterscheinung, die so ärgerlich wie unnötig ist.
Denn gerade in einer Zeit, in der Star Trek quantitativ in neue Serien-Welten vordringt, sollte der Identität der Franchise als Verbindungselement zu den Serien-Vorgängern vorheriger Phasen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Dabei ist das kritikfreudige, raubkopierende oder trollverseuchte Internet keineswegs nur ein Klotz am Bein kommender Serien, denn es beinhaltet genauso großartige Hilfsmittel wie das Star-Trek-Wikipedia Memory Alpha, das für Autoren, Produzenten und Designer gleichermaßen kostenfrei zugänglich ist und das Potential hat, selbst Novizen vor typischen Anfängerfehlern zu bewahren.
Da dies allerdings wohl nur Wunschdenken bleibt, ist es im Hinblick auf die massiven Expansionspläne von CBS mittlerweile schlichtweg von Nöten, eine übergeordnete Kontrollinstanz zu installieren, die Drehbücher vor dem Filmen auf Ungereimtheiten überprüft, Verbindungsmöglichkeiten zum Kanon aufzeigt oder Designentscheidungen mitbestimmt. Denn wenn jede dieser Serien ihr eigenes Süppchen kochen wird, ohne dass eine Hand kontrollierend den größeren Zusammenhang sicherstellt, verliert Star Trek seine Identität und damit auch seinen Reiz.
Denkwürdige Zitate.
«Egal was Sektion 31 sagt – ich halte die nicht für vertrauenswürdig. Man sollte denken, wir wären auf derselben Seite.»
Christopher Pike
«Natürlich Sir. Und ich werde Tylers Unschuld beweisen – verlassen Sie sich drauf.»
Michael Burnham
«Was bedeuten diese Visionen?»
«Jemand oder etwas wird alles Leben in der Galaxis beenden.»
«Und mit ‹alles Leben in der Galaxis beenden› meinen Sie…»
«Ich meine ganz genau das. Keine Menschen, keine Vulkanier, keine Föderation. Kein höheres Leben jeglicher Art.»
Admiral Katrina Cornwell und Spock
«Vermutlich verteidigen Sie ihn ja, weil Sie seine Schwester sind…»
«Nicht blutsverwandt.»
Cornwell und Spock
«Schön, dass Du jede einzelne Sekunde mit mir speicherst!»
«Ehrlich gesagt lösche ich diese Erinnerungen immer zuerst.»
«Oh. Hähähähä. Eigentlich gut wenn man alles löschen kann was man vergessen will. Wenn ich das könnte würde ich meine Mutter wahrscheinlich nicht wiedererkennen.»
Sylvia Tilly und Airiam
«Könnte einer von Ihnen vielleicht etwas sagen? Ich führe nicht gern Selbstgespräche, wenn mir jemand zuhört.»
Paul Stamets
«Nentlo makiskati sipussim [?] – Du gießt eine Pflanze die tot ist.»
«Ich weiß was das heißt.»
«Übersetzen heißt nicht gleich verstehen.»
Spock und Burnham
«Kein Ding für einen Halbroboter.»
«Ich bevorzuge ‹kybernetisch erweitert›. Schönen Dank auch.»
«Ein Hoch auf die Kybernetik!»
«Ich weiß nicht, Detmer. Sie ist ja bisher noch nicht weit gekommen…»
Tilly, Airiam und Kayla Detmer
«Der Krieg zwingt einen manchmal dazu widersprüchliche Entscheidungen zu treffen.»
«Wenn wir im Namen der Sicherheit unsere Werte verraten, haben wir den Krieg schon verloren. Aus reiner Neugier: Wurde die Enterprise abgestellt, damit sie von mir nicht daran erinnert werden?»
«Das hatte einen anderen Grund. Für den Fall, dass wir den Krieg verloren hätten, wollten wir, dass der beste Teil der Sternenflotte überlebt. Und wie diese Unterhaltung unterstreicht sind Sie das und alles wofür sie stehen.»
«Ich danke Ihnen.»
«Gern geschehen. Würden Sie dann aufhören zu nerven, damit wir endlich arbeiten können?»
Cornwell und Pike
«Im Gegensatz zu Ensign Tilly fehlt Dir jede persönliche Note. Es ist eine Leistung, dermaßen profan zu sein.»
«Ich drücke mich lieber durch meine Arbeit aus, nicht durch die Wahl meiner Einrichtung.»
«Eindeutig.»
Spock und Burnham
«Es ist arrogant von Dir anzunehmen, dass meine gegenwärtige Denkweise der Nachhilfe bedürfen würde.»
«Und arrogant von dir anzunehmen, dass es nicht so wäre. Oder hast Du nur Angst zu verlieren?»
«Also gut, Michael; spielen wir Schach.»
Spock und Burnham
«Ich möchte, dass Du bei mir bleibst. Geh nicht weg bis wir das Problem gelöst haben, hast Du das verstanden?»
Airiam
«Nein. Meine Mission; Ihr Schiff.»
Cornwell
«Ich denke, dass unser Vater von Deinem mangelnden Engagement enttäuscht wäre.»
«Ich enttäusche ihn, er enttäuscht mich. Die Sonne geht unter, ein neuer Tag beginnt.»
Burnham und Spock
«Wir haben uns jahrelang nicht gesehen. Auf welcher Grundlage willst Du meinen Charakter beurteilen? Trotzdem stehst Du da voller Selbstgefälligkeit und willst wieder die Verantwortung für etwas übernehmen, was sich Deiner Kontrolle entzieht. Meine Realitätswahrnehmung wurde durch die Visionen eines zeitreisenden Wesens herausgefordert. Wer außer Dir könnte mir also helfen? Schließlich hast Du auch den Krieg mit den Klingonen verursacht! Sogar am Tod Deiner Eltern warst Du Schuld…»
«Hör auf!»
«…Hättest Du nur nicht darum gebeten die Supernova anzusehen. Aber es ist gut, dass Du Dir die Schuld gibst: Den Angriff eines kriegerischen Volkes sollte ein Kind auch voraussehen! Vielleicht hättest Du etwas tun können. Kind gegen Klingone; da stehen die Wetten doch günstig…
«Du sollst aufhören!»
«Du wurdest in einem Verschlag versteckt, Michael. Du hättest es nicht verhindern können; du hättest sie nicht gerettet. Es ist unsinnig, etwas anderes anzunehmen, trotzdem tust Du es! Du hast auch geglaubt, meine Familie vor den Logikextremisten retten zu können, dabei war ich der Grund für ihre Verachtung! Die halbmenschliche Abnormität… Deine Anwesenheit war völlig irrelevant.»
«Und mir leuchtet die Relevanz Deines Argument nicht ein…»
«Dann werde ich noch deutlicher: Du leugnest die Realität weil Du es vorziehst, Schuld auf Dich zu nehmen, statt Dich dem unermesslichen Leid zu stellen.»
Spock und Burnham
«Das gibt es nichts herauszufinden. Ich bin wütend. Schlicht und einfach.»
«Empfindest Du Dein Scheitern als Vulkanier oder als Mensch?»
«Mein Scheitern empfinde ich als reinste Befreiung! Und zum allerersten Mal lasse ich meinen Emotionen freien Lauf!!»
Spock und Burnham
«Kein Spiel? Was wenn doch?»
Burnham
«Wenn Sie die Galaxis retten wollen, helfen Sie erstmal mir.»
Paul Stamets
«Sieh an; Du darfst auf eine Mission! Vergiss aber uns einfache Leute nicht…»
Detmer
«Wir kämpfen gegen das System selbst…»
Pike
«Das ist es! Es will denken! Und sich entwickeln! Mit diesen Daten kann Control sich ein eigenes Bewusstsein erschaffen! Und wenn das geschieht…»
«… kann es jegliches Leben in der Galaxis vernichten.»
«Genau das, was Spock in seiner Vision gesehen hat….»
Burnham und Pike
«Ich werde diese Tür entriegeln, Dich umbringen, meine Mission beenden und die Discovery zerstören.»
Airiam
Season 1
Besprechung Episode 01 & 02
Besprechung Episode 03
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Besprechung Episode 05
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Besprechung Episode 07
Besprechung Episode 08
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Besprechung Episode 10
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Season 2
Besprechung Episode 16
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Besprechung Episode 20
Besprechung Episode 21
Besprechung Episode 22
Besprechung Episode 23
Sebastian Blasek (auch als Turon47 bekannt) ist in selbst seinen späten Dreißigern noch immer ein großer Star-Trek-Fan, nachdem er 1988 das erste Mal “Raumschiff Enterprise” im Westfernsehen sehen durfte. Aufgewachsen in einem Staat den es nicht mehr gibt, wohnt er heute in Potsdam, wo er Deutsch und Geschichte studiert hat. Der anglophile Fußballfan schreibt in seiner spärlichen Freizeit Artikel für die Star-Trek-Tafelrunde “Hermann Darnell” und schläft am Wochenende gern aus.