Von Gastautor Sebastian Blasek
Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf «Brother«, die erste Folge der zweiten Staffel «Star Trek Discovery» und sollte nur dann gelesen werden, wenn man diese und vorangegangene Folgen bereits gesehen hat.
I. Einleitung.
In mir steckt ein schizophrener Geist.
Da ist jene dunkle Seite in mir, die Discovery ein wenig ablehnend gegenübersteht.
Es gelang Discovery für meinen Geschmack einfach viel zu selten, mich in seiner ersten Staffel vom Hocker zu reißen und die wirklich denkwürdigen Folgen kann man problemlos an einer Hand abzählen. Zu viele Logiklöcher, Kanonbrüche und Fehlentscheidungen haben mich nach den ersten fünfzehn Folgen abgeschreckt.
Diese Seite in mir ist daher missmutig, argwöhnisch und vor allem ängstlich, welchen Unsinn diese Serie als nächstes mit der inneren Chronologie Star Treks anstellt.
Und dann ist da diese andere, aufgeregte Seite.
Jener Teil in mir, der sich beinahe wie ein kleines Kind freut, wenn er ein neues Stück Star Trek sehen kann; sei es ein winziger Short Trek oder die erste Folge der zweiten Staffel einer Serie, die mich eigentlich nie so ganz mitreißen konnte. Sie will ungebrochen an das Gute in der Serie glauben, kratzt alle positiven Aspekte zu einem Grund zur guten Hoffnung zusammen und klammert sich rücksichtslos optimistisch an die vage Aussicht, dass es von jetzt an nur noch besser werden kann, wenn die Autoren aus den Fehlern gelernt haben.
Und so saßen beide Seiten meiner selbst zusammen mit mir unschlüssig vor dem Fernsehbildschirm, als die neueste Folge «Brother» bei Netflix anlief. Hier folgt, was sie erlebten.
II. Story.
Nach ihrem Zusammentreffen mit der USS Enterprise übernimmt deren Captain Christopher Pike das Kommando über die USS Discovery, um mit ihr einem rätselhaften außerirdischen Signal zu folgen, das die Föderation in den Weiten des Alls entdeckt hat.
So folgen Burnham, Saru und Co. dem neuen Interims-Captain zu einem Asteroiden, wo sie prompt auf die Überreste eines verloren geglaubten Krankenwagenraumschiffes stoßen, das auf der unwirtlichen Oberfläche des durch das All sausenden Himmelskörpers eine verheerende Bruchlandung hingelegt hat.
Die Crew muss schleunigst zusammenarbeiten um Lösungen für die brennendsten Fragen unter ihren Fingernägeln zu finden:
Gibt es Überlebende?
Wie kommen wir auf die Planetenoberfläche?
Was hat es mit den fremden Signalen auf sich?
Kann Pike das Vertrauen der gebeutelten Discovery-Besatzung gewinnen?
Und wo zum Teufel steckt eigentlich Burnhams Adoptivbruder Spock?
III. Lobenswerte Aspekte.
Charaktermomente.
Die einzelnen Figuren erlebt der Zuschauer wie Licht und Schatten. Einige sind großartig, andere mittelmäßig, während wiederum ganz andere Gestalten auf keine Kuhhaut passen.
Für letztere Kategorie habe ich zwei gute Beispiele.
Evan Connolly. Der etatmäßige zweite Wissenschaftsoffizier der USS Enterprise ist so plump wie eindimensional gezeichnet, als wäre er lieblos aus dem großen Buch der Bauernopfer abgepaust. Er wirkt keine Sekunde sympathisch, strotzt nur so vor selbstherrlicher Arroganz und macht sich nicht einmal die Mühe, dass man als Zuschauer eine Beziehung zu ihm aufbauen kann.
So weit, so nachvollziehbar. Kontroverser hingegen scheint mein zweiter Totalausfall zu sein.
Denise Reno. Die meisten meiner bisherigen Gesprächspartner empfanden Reno als erfrischende Abwechslung, doch mich persönlich spricht ihre Art überhaupt nicht an. Ich will nicht falsch verstanden werden; ich habe keinerlei Problem mit einer Frau als Chefingenieurin, aber im Vergleich zu ihr wirkt die einzige andere (nennenswerte) weibliche Maschinenraumchefin B’Elanna Torres wie eine freundliche Disney-Prinzessin – während sie immerhin Halbklingonin war.
Die von der Komikerin Tig Notaro verkörperte Figur hingegen entpuppt sich seit der ersten Wortmeldung als besserwisserische Eigenbrödlerin mit der latenten Angewohnheit anderen mit schnottrigem Sarkasmus ins Wort zu fallen. Sie reicht einem Sternenflottencaptain die blutverschmierte Hand, obwohl es definitiv kein Problem gewesen wäre, den OP-Handschuh abzustreifen. Ich mag da eine unpopuläre Sichtweise vertreten, aber für mich klingt das nach einem deutlichen sozialen Defizit, von dem ich nicht glaube, dass er durch die fast einjährige Isolation zu erklären ist. Da hat es irgendjemand mit dem Ecken- und Kanten-Zeichnen einfach so weit übertrieben, dass ein Charakter entstanden ist, den man im wahren Leben wohl auf dem einsamen Asteroiden zurückgelassen hätte.
Überhaupt erinnert mich die Vorstellung eines Ingenieurs, der sich erfolgreich medizinisches Wissen anliest, um mit seinem Wissen über Technik an Menschen und deren Organen herumzubasteln hat, zu deutlich an die literarische Vorlage Dr. Frankensteins. Das geht zu Lasten der Glaubwürdigkeit, denn wozu verbringen Sternenflottenärzte überhaupt acht lange Jahre mit eintönigem Studieren, wenn sie genauso gut ein zehn Monate und elf Tage anwährendes Praktikum im Maschinenraum machen können?
Eher mittelprächtig kommt hingegen Michael Burnham rüber.
Obgleich sie den Aufmerksamkeitsfokus der gesamten Serie auf sich zieht, verfällt sie allen Erfahrungen der letzten Staffel zum Trotz in alte Verhaltensweisen zurück. Sie ist schnippisch, vorlaut und als sie Pike auf der Brücke zusammenfaltet, grenzt ihr Verhalten schon beinahe an Insubordination. Es mutet schon recht ironisch an, dass ausgerechnet sie Sarek zufolge Spock Empathie näherbringen sollte, denn ihr offen ausgetragener, pubertär anmutender Kleinkrieg mit Connolly war nicht zuletzt einer der Gründe, warum er (in zusätzlicher Überschätzung seiner eigenen Fähigkeiten) auf der Außenmission schließlich starb. Sein sinnfreies Ableben war zeitgleich ein Armutszeugnis für einen Offizier mit dem Rang eines Commanders, zu dessen Fähigkeitsarsenal auch der Umgang mit Untergebenen gehören sollte.
Immerhin hatte Burnham auch bessere Momente, auch wenn ich persönlich sie vor allem in den Rückblenden am sympathischsten empfand.
Ähnlich ambivalent verhält es sich mit dem inzwischen zum Fähnrich aufgestiegenen Rotschopf Sylvia Tilly. Zwar hängt insbesondere an ihrer Person der wissenschaftliche Tenor der Folge und tatsächlich spürt man, dass die strahlende Offizierin mit dem großen Herz eine große Zukunft blüht, aber auf der anderen Seite wirkte sie über weite Strecken so anstrengend teenagerhaft, dass man als Zuschauer zeitgleich mit Saru immer wieder verzweifelt vor Fremdscham mit den Augen rollen muss.
Mit dem von Doug Jones verkörperten Saru beginnt aber auch schon die Bestenliste.
Der Kelpianer liefert die gesamte Folge eine gute Figur und solide Performance ab. Sein Charakter wirkt ein wenig unbeschwerter und selbstsicherer als zuvor. Außerdem haben die Schreiber seinen Dialogen nunmehr eine kleine Prise Humor beigemengt, was der Figur, die nun mehr an Odo als an Data erinnert, wirklich gut tut.
Auf ähnlich stabilem Kurs hält sich auch James Frain mit seiner würdevollen Darstellung als Sarek, die durch Mia Kirshners Porträt Amanda Graysons kongenial ergänzt wird. Selbst der Jung-Spock-Darsteller Liam Hughes verrichtet einen wortlosen, aber nichtsdestotrotz großartigen Job.
Das Allerbeste aber habe ich mir allerdings für den Schluss aufgehoben:
Anson Mount als Christopher Pike in Aktion zu sehen ist der unbestreitbaren Höhepunkt dieser Episode.
Er schlägt eine perfekte Brücke zwischen Jeffrey Hunter aus dem Star-Trek-Pilotfilm und Bruce Greenwood aus dem Abramstrek-Reboot. Er verkörpert, was der Serie bislang gefehlt hat: Einen stilprägenden – wenn auch nicht gänzlich fehlerfreien – Captain, der seine Besatzung anführt. Trotz der Burnham-Zentrierung dreht sich das Geschehen in erster Linie um ihn und sein Amt, das er mit passgenauer Würde ausfüllt.
Zudem rückt er erstmals den Fokus auf die nur selten in Aktion getretene Brückencrew, die er in einer der bislang denkwürdigsten Szenen der gesamten Serie mit einer Vorstellungsrunde bedenkt. Das hat sofortige Auswirkungen, denn Detmer, Owosekun, Airiam, Rhys und Bryce haben in dieser einen Folge mehr Dialog als in der gesamten Staffel zuvor. Besondere Pluspunkte gibt es für (den eventuellen Saurianer?) Linus, dessen einzige Szene zwar arg am Rand von Slapstick wandelte, aber das Potential für einen Publikumsliebling a la Morn bot.
Das heißt allerdings nicht, dass alle Charaktere ausreichend Platz hatten, denn die Neuerungen gingen zu Lasten anderer Figuren wie Stamets (der noch nicht ganz von der Restwirkung des Pilzkomsums genesen zu sein scheint), der Beinahe-Statistin Dr. Pollard (als Chefmediziner nur zwei Worte zu sprechen gab es in noch keiner anderen Star-Trek-Serie) oder der Redshirt-tragenden Enterprise-Ingenieurin Nhan (über die ich gern mehr erfahren hätte).
Doch während diese Personen immerhin ab und an zu sehen waren, fehlten mir andere vollständig. Wo zum Beispiel ist Nummer Eins, der Erste Offizier Pikes abgeblieben?
Und warum erwähnt eigentlich niemand Spocks Halbbruder Sybok?
Immerhin dürfte dieser laut Star-Trek-Chronologie etwa sieben Jahre älter als Spock und ungefähr im gleichen Alter wie Burnham sein…
Neuer Ton.
Mit der neuen Staffel wird die Uhr wieder auf Null gestellt. Vergessen ist der rumpelige Start der ersten Folgen und es scheint tatsächlich, als hätte Alex Kurtzman sein Antritts-Versprechen wahrgemacht, zumindest einige der Fehlentscheidungen beim Start der Serie wiedergutmachen zu wollen. Das lässt sich optisch und inhaltlich gut erkennen.
Schon der aufpolierte Vorspann suggeriert Veränderung und in der Tat kommt man nicht umhin nach der Folge zu bemerken, dass sie die gesamte Grundstimmung schlagartig geändert hat. Eine positive Aura hat urplötzlich Einzug in der bislang recht düsteren Serie gefunden und diese Entwicklung lässt sich, wie bereits eingangs angedeutet, an einer Person festmachen:
Christopher Pike.
Der kann sich nämlich noch ganz genau an die Zeit erinnern, als alle einfach nur Forscher waren und führt auf dem Schiff wertschätzende, kameradschaftliche und demokratische Umgangsformen ein, die den Crewmitgliedern vorher beinahe gänzlich unbekannt waren. Damit beschwört er auch fast im Alleingang jene traditionellen Star-Trek-Werte, die auch alle Vorgängerserien begleitet haben.
Ansonsten wirkt alles noch bunter, noch knalliger, noch turbulenter!
Ein toller Soundtrack, seichter Humor, auffallend viele CGIs und ein wahres Feuerwerk an Rückblenden, Actionszenen, Außeneinstellungen, tollen Umschnitten oder Detailaufnahmen nehmen die Zuschauer auf eine Achterbahnfahrt mit, die den Vergleich mit einem Kinofilm fast nicht zu scheuen braucht, zumal endlich einmal das freiere Format eine Streaming-Serie durch eine Folgenlänge von knapp einer Stunde ausgeschöpft wird.
Tatsächlich kann man beim Ansehen von «Brother» erahnen, dass Gretchen Berg und Aaron Harberts gefeuert wurden, weil sie das Budget bereits in den ersten paar Folgen so sehr überstrapaziert haben.
Dem Zuschauer kommt das allerdings entgegen und darüber hinaus versäumt es die Folge nicht, zahlreiche rote Fäden für die Zukunft zu stricken. So will Pike in bester Forschermanier fremde Signal entschlüsseln, während Stamets (vielleicht durch den Forschungsgegenstand der dunklen Materie?) zum Bleiben animiert werden muss. Burnham kämpft mit Bruder-Komplexen, während Tilly sich beweisen darf und Saru sich mit der Schmach der Degradierung ins zweite Glied abfinden muss.
Trotz vieler vielversprechender Ansätze bleibt die Folge über weite Strecken sehr ausrechenbar.
Dass etwa Connolly stirbt, war bereits klar, als er erstmals seinen Mund öffnete.
Die Rettungsmission auf dem Asteroiden war so generisch, platt und künstlich, als wäre sie einem schlechten Rollenspiel entlehnt.
Und einige der Dialoge (z.B. Pikes Ausführungen zur Sternenflottenvorschrift 19, Absatz C, vergleiche Denkwürdige Zitate) waren so offensichtlich, dass ich die Antworten zeitgleich miteinsprechen konnte.
Moralität.
Um es kurz zu machen: Eine richtig klassische, tiefgreifende Moral wie in einigen Originalserien-Folgen oder TNG-Episoden sucht man in «Brother» wohl vergeblich.
Das soll aber nicht heißen, dass es keine gewichtige Grundaussage gibt.
Tatsächlich steht das Kollektiv im Zentrum und frei nach den Mottos «There Is No ‹I› in Team«, «Zusammen sind wir stark» oder «Ja wir schaffen das!» erfährt der geneigte Zuschauer, wie wichtig Zusammenarbeit auf einem Raumschiff, unter Kollegen und im Leben überhaupt ist.
Was nach einer eher überschaubar originellen Erkenntnis klingt ist allerdings nahezu revolutionär, wenn man bedenkt, wie wenig dieser Aspekt zuvor bei Discovery, deren Hauptaugenmerk als Serie ja auf einer Einzelperson liegt, überhaupt thematisiert wurde.
Kanonfutter.
Bereits der Cassini-Einstieg, der mit den Worten «Der Weltraum. Unendliche Weiten.» unterlegt Fanherzen höher schlagen ließ, war ein Indikator dafür, dass die Folge den Schulterschluss mit ihren Serien und Film-Vorgängern suchte. Dabei spreche ich noch nicht einmal von den Tönen und Geräuschen, die etwa bei der Verwendung von Trikordern, dem Öffnen von Türen, beim Beamen oder dem Betrieb auf der Brücke deutliche Duftmarken hinterließen, die sich aber eher hintergründig in die Seele der Zuschauer einschlichen.
Stattdessen versorgte die Folge Trekkies mit großartigen Anleihen vor allem aus der Originalserie.
So wissen wir nun, wie Spocks Quartier unter Pike aussah – inklusive Amok-Time-Glockenspiel, seiner geliebten Harfe und dem gelochten Raumtrenner. Selbst die Quartiernummer ist die selbe wie «Weltraumfieber«.
Rückblenden entführen uns in die Jugend Burnhams und Spocks, die irgendwo zwischen der TAS-Episode «Das Zeitportal» und der Abrams-Reboot-Interpretation in «Star Trek» (2009) angesiedelt sind, wobei besonders schön ist, dass Spocks Kinderhaarschnitt deutliche Überschneidungen mit seinem Trickfilm-Alter-Ego aufweist, auch wenn die animierte Serie sicherlich nicht unbedingt zu den Vorzeige-Serien der Franchise gezählt wird.
Zudem waren die Anlehnungen an die laut Kurtzmans Aussage kurz zuvor ausgetragene Handlung von «Der Käfig» erstaunlich liebevoll. Neben dem Lächeln des jungen Spocks und den Ausführungen zu den ’neuen› Uniformen (direkt schade, dass Pike sie am Ende austauscht – auch wenn die Discovery-Uniform zugegebenermaßen eine der besseren Design-Entscheidungen des Serie bildete) ist vor allem das Glückskeks-Zitat, das überdeutlich auf die Erfahrungen des Enterprise-Kommandanten anspielt, eine ebenso gelungene wie dezente Referenz auf die Wurzeln Star Treks.
Aber das bildet nur die Spitze des Eisbergs.
Sarek deutet im Gespräch mit seiner Ziehtochter an, dass Burnham der Schlüssel zu Spocks Hang zu Menschen sein könnte, auch wenn die Beziehungen aller Beteiligten zueinander deutlich gestört zu sein scheint.
Mein persönlicher Liebling ist allerdings die Dienstakte Pikes, in der man beispielsweise erfahren kann (wenn man im richtigen Moment auf ‹Pause› drückt), dass der verdiente Captain nicht nur in Astrophysik durchfiel, sondern vor der Übernahme des Kommandos auf der Enterprise auf Schiffen wie der USS Antares, USS Aryabhatta und der USS Chatalet diente.
Ansonsten erfährt man von Spocks ungeahnten Zeichenkünsten, dem überlegenen Sehvermögen von Kelpianern selbst bei sehr verpixelten Aufnahmen und erfährt, dass bereits in der Mitte des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts Caitianer und Bolianer in der Sternenflotte dienen. Zudem fragte ich mich, ob die Ingenieurin Nhan vom Planeten Barzan stammt, wo ähnliche Gerätschaften im Gesicht getragen werden.
Darüber hinaus sind auch die seit kurzem bei Netflix einsehbaren Short Treks miteingebunden worden.
So erwähnt Saru einmal seine Schwester Siranna, während Tilly gefühlt alle zwei Minuten darauf hinweist, dass sie Mitglied des Kommando-Trainings-Programms ist.
IV. Kritikwürdige Aspekte.
Kanonbrüche und Logiklöcher.
So schnell kann es gehen.
Eben noch lobe ich den Kanon, jetzt steht er auch schon auf meiner Mängelliste.
Doch bei Lichte betrachtet sind die wenigen Widersprüche recht geringfügig.
Klar suggeriert Nhan beim Anblick der modernen Discovery die Verwendung von Geld bei Star Trek, Doch wenn man auf die englische Tonspur wechselt, verwendet sie eher eine Redewendung um ‹Pennies›, die eher den kleinteiligen Aufwand zur Konstruktion dieses Schiffes unterstreicht.
Auch Tillys verfrühte Kenntnisse über Tribbles sind nicht weiter verwunderlich wenn man sich vor Augen hält, dass bereits Phlox eines der possierlichen Tierchen vor den Augen Hoshi Satos an seinen Zoo verfütterte.
Der Rollstuhlfahrer, der sich in einer Szene hinter Stamets zeigt, obgleich man eher seltener entsprechende Vehikel bei Star Trek sieht, ist dennoch nicht ohne Vorgänger – immerhin waren bereits Emory Erickson, Winona Kirk, Admiral Mark Jameson, Melora Pazlar und Christiopher Pike selbst in entsprechenden Gefährten zu sehen.
Auch die Abwesenheit von Connolly und Nhan im Star-Trek-Piloten «Der Käfig» ist recht spekulativ, denn wenn schon Pike neu besetzt wurde, könnte man ebenso auch behaupten, dass eine der Hintergrundfiguren in der Serie als Vorbild gedient haben könnten (wobei die Uniformen dort bei weitem nicht so bunt waren, wie uns die Dialoge in «Brother» weismachen wollen).
Ärgerlicher fand ich hingegen zwei deutlich lesbare Einträge in Pikes Dienstakte, die damit offizieller Kanon sind. Zum einen ist es die cardassianische Auszeichnung des «Tapferkeitshelm des Legaten» (Legate’s Crest of Helm), die Pike mit Kriegsverbrechern und Preisträgern wie Crell Moset auf eine Stufe stellt. Noch unnötiger fand ich allerdings, dass juvenile Pike ausgerechnet jenen Carrington Award verliehen bekam, der Bashir aufgrund seines Alters von unter einhundert Jahren verwehrt blieb. Zudem drängt sich schon die Frage auf, warum Pike, der laut Akte keinen medizinischen Abschluss hat, eine der höchsten medizinischen Auszeichnungen der Föderation erhielt.
Ansonsten gibt es vor allem das ein oder andere Logikloch.
So ist mir beispielsweise nicht so ganz klar, was die Enterprise eigentlich havarieren ließ. Hier wäre eine genauere Erklärung sicherlich sachdienlicher gewesen, als diesen zeitlich recht günstigen Totalausfall mit dem Mantel des Schweigens zu verhüllen.
Zudem muss ich mal anmerken, dass die Discovery für ein Schiff ihrer Größe erstaunlich geräumig ist, was man vor allem bei Ankunft Pikes, der Turboliftfahrt mit Linus, den Szenen im Hangar und beim Start der Pods bemerken kann. Ein wahres Platzwunder, vor allem wenn man bedenkt, dass Stamets ohne eigenes Labor auskommen musste.
Quo Vadis, Discovery?
Schon Captain Pike formulierte in seiner Weitsicht einen Kritikpunkt aus, bevor irgendjemand sonst ihn aufbringen konnte.
„Wie sie alle nur zu gut wissen hat die letzte Untersuchung einer Energieverzerrung zum Krieg mit den Klingonen geführt.“
Tatsächlich ist die Ausgangssituation der zweiten Staffel jener in der ersten so erschreckend ähnlich, dass die Schreiber in Person Pikes die Flucht nach vorn antraten. Aber auch abgesehen vom mysteriösen Energiesignal gab es einige erschreckende Parallelen wie Burnhams Rückfall in ruppige Verhaltensweisen, die Verwendung von «Alice im Wunderland» oder die Reise zum Signalursprung in einem Raumanzug.
Wobei letzterer Punkt natürlich auch genauso gut aus einer Quelle stammen könnte, aus der sich Kurtzman schon allein aus Gewohnheit bedienen dürfte:
Vieles erinnert nämlich an Abramstrek.
Connolly ignoriert in buntem Raumanzug die Sicherheitsanweisungen beim Flug zum Missionsziel?
Klingt nach Olsen beim Fallschirmsprung in «Star Trek» (2009).
Die Scheibe zerspringt weil sie von Trümmerteilen getroffen wird?
Richtig, das gleiche passiert Kirk in «Into Darkness«.
Das Schiff springt aus dem Warp heraus und droht in einem gefährlichen Trümmerfeld mit einzelnen Flugkörpern zu kollidieren?
Ja, ähnliches widerfährt Pike auch in der alternativen Zeitlinie in «Star Trek» (2009).
Also wäre das nicht genug, tapst Discovery blind in eine Falle, die bereits andere Star-Trek-Serien in punkto Originalität limitierten. So trachtete beispielsweise Deep Space Nine nach mehr Beachtung, indem es die Popularität seines Vorgängers TNG dadurch auszuschlachten versuchte, dass es beliebte Charaktere übernahm oder Gastauftritte absolvieren ließ. So gaben sich etwa Picard, Riker, O’Brien, Worf, die Duras-Schwestern, Gowron, Alexander Rozhenko oder gar Q gegenseitig die Klinke der Raumstation in die Hand.
Ähnliche Prozesse kann man auch bei Discovery beobachten, wo zur Popularitätssteigerung Charaktere wie Mudd, Sarek, Amanda Grayson, Pike oder Spock der noch jungen Serie ordentlich Starthilfe geben.
Doch daneben bleibt nur wenig wirklich Originelles an der ersten Folge der zweiten Staffel übrig und die Verwendung altbekannter Charaktere legt den Verdacht des Fanservices nahe, auch wenn wir an dieser Stelle vielleicht wohlwollender vom ‹Versuch des Brückenschlags› sprechen wollen.
Ob sich Discovery wird behaupten können oder eher zu einer Prequelserie mutiert, wird die Zukunft zeigen, wobei mir abschließend noch eines bitter aufstößt: Als Burnham und Tilly auf die Ursache für die Gravitationsstörungen stoßen, sagt die rothaarige Kommandotrainingsteilnehmerin folgendes:
«Das könnte die Entdeckung von etwas Unmöglichem sein! Eine Brücke zu einer potentiell unbegrenzten, Hundertprozent effizienten Energiequelle! Ein neuer Forschungszweig, der sich vor uns ausbreitet und wir sind seine Gründungsmütter!»
Ein wenig Bauchschmerz schwingt dabei mit, denn es scheint, als hätte man ein neues, völlig unzeitgemäßes Wundermittel jenseits von dunkler Materie gefunden, das man nun ähnlich melken könnte wie den Sporenantrieb, Transwarpbeamen oder Augment-Superblut. Ich kann nur hoffen, dass diese Prognose falsch ist, denn sonst ergäbe es einen weiteren Punkt, in dem die zweite Staffel dem schlechten Vorbild der ersten nacheifern würde.
Immerhin scheint man ein Laster los, dass ich persönlich nicht sehr vermissen werde. After Trek, die sinnlose Nachbesprechung einer jeden Folge, wurde scheinbar ersatzlos gestrichen (vielleicht auch besser im Angesicht der vielen Serien, die Kurtzman alsbald in den CBS-All.Access-Äther werfen will). Scheinbar hat man erkannt, dass ein weniger Tamtam der Seriosität dienlich ist und der ganze Rummel nur die Erwartungshaltung der Fans ins Unermessliche geschraubt hat. So änderte sich die Strategie. Die Trailer wurden aussagekräftiger, mehr Material gelangte im Vorfeld an die Öffentlichkeit und die Macher spielten mit verhältnismäßig offenen Karten. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass man zu vielen Spoilern ausgesetzt war, wenn man zuvor die verschiedenen Vorschau-Clips gesehen hat. Aber wahrscheinlich umgeht man es so, dem Druck der Fanlager nicht aushalten zu können – oder wie Pike es ausdrückte:
«Manchmal ist es ratsam, die Erwartungen herunterzuschrauben. Das bewahrt einen vor Enttäuschungen.»
So bleibt uns wohl nur uns zurückzulehnen und ein weiteres Zitat jenes Mannes zu genießen, der diese Folge zu einer der besten der gesamten Serie bislang werden ließ – Captain Christopher Pike.
«Ach und Burnham: Wohin immer die Mission uns auch hinführt – wir lassen uns dabei auf keinen Fall den Spaß verderben. Hauen wir auf die Pauke und wirbeln ein bisschen Staub auf!»
V. Synchronisation
Es ist ein leidiges Thema. Abermals gibt es zum Deutschlandstart noch keinen deutschen Titel und auch der Rest der Synchronisation ist zwar nicht gänzlich schlecht, weist aber an vielen Stellen deutliche Mängel auf. So wäre etwa eine andere Bezeichnung als «Stiefbruder» für die Beziehung zwischen Spock und Burnham angemessen gewesen. Auch «kleines Stummelchen» ist nicht unbedingt eine allzu gelungene Übersetzung von ‹Pinkie‹ (aber gibt es den im Deutschen überhaupt eine passende Bezeichnung für den kleinen Finger?). Am meisten geärgert hat mich allerdings, dass die Erwähnung von Pikes Geburtsort Mojave ersatzlos gestrichen wurde, womit auch der Informationsgehalt der deutschen Sprachausgabe gemindert wird.
Aber es gibt auch angenehme Aspekte der deutschsprachigen Version. So ist Benjamin Stöwe tatsächlich noch einmal zu hören und Wilson Cruz› Namensnennung im Vorspann lässt vermuten, dass dies fortan vielleicht doch noch häufiger der Fall sein könnte…
VI. Fazit.
Der Erfolg der ersten Folge der zweiten Staffel Discovery ist eng mit dem Namen Christopher Pike verbunden. Der genial von Anson Mount verkörperte Sternenflottencaptain bringt neuen Schwung, alte Werte und frischen Wind in die Serie, während er zeitgleich den Kreis zu den Anfängen der Franchise schließt. Es sieht tatsächlich so aus, als hätte man Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit gezogen und ist nun bereit – wenn auch im Schlepptau von frischen, altbekannten Gesichtern – neue Wege zu gehen.
Da wirkt es beinahe unwichtig, dass die Folge inhaltlich nicht allzu viel Tiefe zu bieten hat, einige Charaktere etwas über das Ziel hinausschießen oder Logiklöcher im Erzählgewand klaffen.
„Brother“ ebnet den Weg in eine vielversprechende Zukunft. Es ist nun an Discovery, diesen Weg auch zu beschreiten.
Bewertung. Vielversprechender Auftakt.
VII. Schluss.
Nach der Folge steckt ein nicht viel weniger schizophrener Geist als zuvor.
Immerhin hat wieder einmal meine optimistischere Hälfte die Oberhand gewonnen. Dank eines tollen Pike-Darstellers blickt sie hoffnungs- und erwartungsvoll der nächsten Episode entgegen.
Doch die mahnende, pessimistische Hälfte ist keineswegs verschwunden. Sie lauert argwöhnisch und mag den Verheißungen nicht glauben, während sie unbeirrt auf die Schwachpunkte deutet.
Ich hingegen freue mich einfach nur, dass Discovery keinen schlechten Start hingelegt hat und bin schon jetzt gespannt, welche meiner beiden Hälften das nächste Mal obsiegen wird; die eine, die nicht aufhören will zu hoffen, oder die andere, die nur darauf wartet, mir ‹Ich hab es dir ja gleich gesagt‹ unter die Nase zu reiben.
Denkwürdige Zitate.
«Spock? Das ist Michael Burnham. Sie wohnt ab jetzt bei uns. Du wirst sie die vulkanischen Gebräuche lehren. Ich erwarte von Euch, dass ihr Freunde werdet.»
Sarek
«Sie ist wirklich wunderschön…»
Detmer über die USS Enterprise
«Haben Sie auch Geschwister?»
«Hm. Eine Schwester. Siranna. Ich rechne allerdings nicht mit einem Wiedersehen. Leider liegt eine Kluft zwischen uns, die wir nicht überwinden können.»
«Das Gefühl kenne ich.»
«Ich übernehme das Kommando über die Discovery nach Sternenflottenvorschrift 19, Absatz C.»
«Darüber hat uns die Sternenflotten nicht informiert!»
«Weil ich darum gebeten habe. Ich wollte es selbst tun aus Respekt vor dem, was Sie und Ihre Crew durchgemacht haben.»
«Verzeihen Sie, Captain. Diese Richtlinie tritt nur bei drei Eventualitäten in Kraft: Wenn eine akute Gefahr bevorsteht, wenn das Leben von Föderationsbürgern bedroht wird oder wenn kein anderer Offizier von gleichem oder höheren Rangs anwesend ist, um die Gefahr zu entschärfen. Darf ich fragen, welcher dieser drei Fälle hier gegeben ist?»
«Alle drei.»
Pike und Saru
«Ich bin nicht er. Ich bin nicht Lorca.»
Pike
«Logikwissenschaften sind praktisch nur Meditation.»
Tilly
«Ich will, dass Sie mir Folgendes nachsprechen:»
«Okay.»
«Ich verliere künftig…»
«Ich verliere künftig…»
«… weniger Worte.»
«… weniger Wor- oh. Okay.»
Stamets und Tilly
«Sagen Sie nicht, dass Sie das überrascht.»
Saru beim Erscheinen seiner Gefahrenganglien
«Leute; das ist die Macht der Mathematik!»
Tilly
«Worin besteht die Logik fernzubleiben wenn es nichts mehr gibt, zu dem man zurückkehren könnte. Spock konnte die beeindruckendsten Fragen stellen. Er war die personifizierte Logik und gab einem trotzdem zu verstehen, dass die Logik bloß der Anfang wahren Verstehens ist. Da hatte er uns allen etwas voraus.»
Pike über Spock
Season 1
Besprechung Episode 01 & 02
Besprechung Episode 03
Besprechung Episode 04
Besprechung Episode 05
Besprechung Episode 06
Besprechung Episode 07
Besprechung Episode 08
Besprechung Episode 09
Besprechung Episode 10
Besprechung Episode 11
Besprechung Episode 12
Besprechung Episode 13
Besprechung Episode 14
Besprechung Episode 15
Sebastian Blasek (auch als Turon47 bekannt) ist in selbst seinen späten Dreißigern noch immer ein großer Star-Trek-Fan, nachdem er 1988 das erste Mal “Raumschiff Enterprise” im Westfernsehen sehen durfte. Aufgewachsen in einem Staat den es nicht mehr gibt, wohnt er heute in Potsdam, wo er Deutsch und Geschichte studiert hat. Der anglophile Fußballfan schreibt in seiner spärlichen Freizeit Artikel für die Star-Trek-Tafelrunde “Hermann Darnell” und schläft am Wochenende gern aus.
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