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MÄNNERFIBELN, MÄNNERBIBELN

Mit der Männlichkeit ist es wie mit Wässern und Craftbieren. Am Anfang gab’s nur eins und plötzlich überfluten Tausende den Markt. Der Macho konkurriert mit dem sanften Jüngling. Dazwischen bewegen sich Wesen, die zum harten Rand tendieren oder die Smoothie-Ecke bevorzugen. Man muss sich schon durchkosten, um dem wahren Kern auf die Spur zu kommen, denn der Anschein trügt wie so oft. Eines ist jedoch klar: Der Singular hat ausgedient. Beglückend ist die Vielfalt, die es eben nur in der Mehrzahl geben kann.

Höchste Zeit also für uns, die verschiedenen Männertypen unter die Lupe zu nehmen. Das mag nach fieser Gouvernante klingen, die bei der kleinsten Verfehlung den widerspenstigen Jungs eins hinter die Löffel gibt. Aber nein, wir lugen schlicht hinaus in eine Männerwelt, in der so einiges in Aufruhr geraten ist. Dass der ein oder andere Typus dabei auch durchs Raster fallen mag, ist unvermeidlich. C’est la vie!

Der Big Boy

Unverzichtbar ist bei der Verortung der Männlichkeit der Blick in die Hauptpostille des Mannes, das verbriefte Printexemplar männlichen Denkens und Handelns, den „Playboy“. Just zum Ende des vergangenen Jahres erschien die Sonderausgabe „How to be a man“. Das klingt nach Verunsicherung und Orientierungslosigkeit. Und wer ist schuld an der Identitätsmisere? Genau, die böse Frau und der fiese Trump, so die Blattmacher. Deshalb packt das Playboy-Team den Stier beherzt bei den Hörnern. Im „Gentlemen’s Guide“ soll darüber aufgeklärt werden, „was Mannsein heute bedeutet. Männlichkeit in Zeiten, die geprägt sind von ausufernden MeToo-Debatten und ausfälligen Trump-Zitaten.“ Das ist ein ehrwürdiger Ansatz, den jede halbwegs dem Manne wohlgesinnte Frau nur unterstützen kann. Nimmt man das Projekt jedoch genau unter die Lupe, serviert der Playboy seinen Lesern keine raffinierte Leibspeise, sondern Fastfood, wie es seit jeher an den Maskulinitäts-Dönerbuden aufgetischt wird. Es geht um nichts Anderes als „Können“, „Machen“, Haben“ und „Wissen“. Der Playboy-Man darf sich mal wieder durch das Dschungelcamp des Lebens robben, Feuerchen machen, Lagerchen bauen, Futter heranschaffen. Dabei darf er natürlich keine Träne verdrücken. Als Belohnung sei es ihm höchstens gegönnt, ein selbstgebrautes Bierchen zu zischen, denn Abläutern und Gärenlassen bringt ihm ja der Playboy im Craftbeer-Crashkurs bei. In die perfekte Hausbar schafft es aber nicht das schnöde Hopfengebräu, sondern Cognac, Bourbon und, na klar, Gin. Mit Jiggern und Shakern kennt sich der Möchtegern-Mann-von-Welt oder Man-in-the-Making genauso gut aus wie mit Uhren (gähn!), Douk-Douks und Laguioles. Das sind übrigens keine seltenen Erpel, sondern Taschenmesser. Das Messer darf auch gern japanisch sein, denn als Nonplusultra der Schmiedekunst gilt immer noch die asiatische. Das Sinnbild für das vom Playboy aus dem Hut gezauberte Männerkaninchen ist jedoch das fahrbare Lego-Auto in Lebensgröße. Da haben große Technikerjungs einen Riesen-Bugatti aus Legosteinen zusammengebaut, der mit sage und schreibe 25 km/h über den Asphalt kriecht. Das soll der neue Mann sein? Ein Big Boy, der mit seinem Spielzeugauto auf die einsame Insel zuckelt und dabei dreimal auf die Uhr sieht, damit er seinen Five-o’Clock-Tea nicht verpasst? Ein erotisch unbeleckter Highgloss-Narzisst, der sein schnödes Dasein mit Luxusuhren und Lederaccessoires aufpimpt? Seine Libido tunt er jedenfalls nicht. Die Tipps und Tricks des Playboys ringen der erotisch selbstbewussten Frau von heute nur ein müdes Lächeln ab. Dass man sich beim Playboy mit dem weiblichen Orgasmus befasst, ist rühmlich und hat bisweilen lustige Züge. Aber wer glaubt, dass die Orgasmus-Story der Wahrheit entspricht, ist ein Unschuldslämmchen in Reinkultur: „L. beispielsweise, eine heißblütige Südländerin, war so sensibel, dass sie beim Autofahren auf jeder Bodenwelle zum Höhepunkt kam. Ihre Lieblingsstrecke war die Brennerautobahn abwärts nach Bozen, dort gibt es eine Buckelpiste, die L. trotz guter Kondition an die Grenzen ihrer Kapazität brachte. Stöhnend und jauchzend unten angekommen, brauchte sie in der erstbesten Raststätte unverzüglich ein Kaltgetränk und frische Unterwäsche.“ Echt jetzt? Warum sich so manche Feministin ausgerechnet den Playboy als Hassobjekt und Symbol toxischer, weißer Männlichkeit auserkoren hat, bleibt indes schleierhaft. Ernst nehmen kann man das nicht. Wer Orgasmen in abfallenden Prozentpunkten auf Lustskalen misst und immer noch Quantität statt Qualität propagiert, der ist noch ganz weit weg von einem Mann, den wir ihn uns in die Kiste wünschen.

Der Boss

Über den Mangel an erotischem Wissen täuscht auch der rappende Obermacker Kollegah mit seinen 10-Boss-Geboten nicht hinweg. Da trommelt sich das Alpha-Männchen auf die Brust, weil es so viel Männlichkeit intus hat, dass es ganz besoffen davon wird. In des Rappers Macho-Welt dreht sich alles um das richtige Mindset. Dreh-und Angelpunkt dieser Sieger-Attitude ist unbedingte Folgsamkeit gegenüber dem Führer und der unbeirrbare Glaube an das Ausleseprinzip der Evolution: Survival of the Fittest. Egal welcher Lauch, welcher mickrige, picklige Angsthase du auch sein magst, der Boss hilft dir dabei, mit Muckis und Mindset in die Top-Liga der Macker aufzusteigen und die Frauen in Nullkommanix flachzulegen. Vor allem aber basiert die Erfolgsfibel für Männer und solche, die es noch werden wollen, auf absoluter Unabhängigkeit: „Ein Alpha macht sein persönliches Glück von keinem Menschen abhängig. Auch nicht von Frauen. Frauen können sein Leben positiv bereichern, sind jedoch keine zwingende Voraussetzung für ein erfülltes, glückliches Leben.“ Wieder einmal wird das weibliche Geschlecht reduziert auf ein nettes, aber verzichtbares Accessoire. Eine goldene Rolex, wa? Von Geschlecht kann zudem kaum die Rede sein, denn das Alphatier misst Sex keine große Bedeutung bei. Der selbstverliebte Männlichkeitscoach spricht von Bitches und Discoschlampen. Kein Wunder, dass ihm da Känguru-Hoden und Kamel-Penisse nur im Zusammenhang mit dem Dschungelcamp einfallen. Ars Amatoria, schon mal gehört? Mit Martial Arts hat das nix zu tun. Wenn du lieb bist, schenkt dir Séparée ein Jahresabo! Hopp oder top!

Der Kumpel

In ein ähnliches Horn stoßen Frederik Lau und Kida Ramadan in ihrem Buch „Zusammen sind wir Könige. Was Männer zu Freunden macht.“ Prost! Ex und weg. Da wird wirklich kein Klischee ausgelassen bei dieser Berliner-Jungs-Freundschaft. Da geht’s um ein „Ping-Pong aus Pöbeleien“ und „halbherzigen Beschwichtigungen“. Man taucht im Jogginganzug auf, lobt den speziellen Kida-Gang, ist stolz wie Bolle und doch – und das ist der besondere Twist an der Männerfreundschaft – reichlich sentimental. Den besten Freund trägt man als Sticker auf dem Handy, bis sich die Ecken und den Ehefrauen wahrscheinlich die Zehennägel aufrollen. Aber was sind schon Abziehbilder und Statussymbole gegen die wahren Werte der Männerfreundschaft oder um mit Kida und Freddy zu sprechen: „Wer braucht schon einen Sehtest, um sich zu vergewissern, dass die Pumpe schlägt?“ Ganz ohne Ironie: Gefühle gibt es in dieser Beziehung. Darauf ein herzliches Bussi aufs Baucherl und ’n kräftigen Schulterklopfer!

Der Hummer

Während sich Kollegah & Co. in den Fitnessclubs die Muskeln pimpen und den geölten Body auf Instagram posten, liefert Jordan B. Peterson den intellektuellen Überbau mit seinen Tutorials zu Maskulinität auf Youtube. Petersons Totem ist der Hummer, ein Schalentier, mit dem wir knackende Scheren und puterrote Körper in siedend heißem Wasser verbinden. Eher Opfer als Vorbild also. Peterson aber erkürt den Hummer und seine Lebensweise zum männlichen Life- und Überlebens-Style des 21. Jahrhunderts. Hummer sind dominant, wenig mitfühlend und nicht besonders schlau, was sie zu den idealen Survivors mache. Peterson plädiert für eine natürliche Männlichkeit, die einzige, die in unseren naturgegebenen Autoritätshierarchien überlebensfähig sei. Gekoppelt mit Bibelfestigkeit knallt der kanadische Psychologe allen Verfechtern von Genderfluidität und kultureller Bedingtheit der Geschlechter einen Lobster vor den Latz. Das ist im Kern so reaktionär, dass man schon mal den Kochtopf aufsetzen möchte.

Der Antisexist

Dagegen Ralf Bönts „Das entehrte Geschlecht. Ein notwendiges Manifest für den Mann“. Mit Mario Marinettis nun hundert Jahre altem Futuristischem Manifest und dem ad nauseam zelebrierten stählernen, faschistoiden Männlichkeitsbild hat Bönts Plädoyer nun aber gar nichts am Hut. Während es bei Marinetti heißt: „Der geliebkoste Tod überholte mich an jeder Kurve, um mir artig seine Pfote zu geben“, hält uns Bönt nüchtern die niedrigere Lebenserwartung der Männer vor Augen. Überhaupt sei die „Freiheit eines klassischen maskulinen Lebensentwurfes“ ein kolossaler Irrglaube. Während Frauen versuchen, zwischen Kind und Karriere die Balance zu finden, gräbt sich der Mann mit Karriere, Konkurrenz und Kollaps sein eigenes Grab. Bönt hält uns Frauen einen Spiegel vor Augen, der uns ein Zerrbild unser selbst zeigt: eine mit sich selbst und den bösen Männern hadernde Frau, die sich in ihrer Opferrolle ganz gemütlich einrichtet. Das mag nicht immer als gerecht empfunden werden und ist stellenweise wohl auch überzeichnet, doch bedarf es manchmal eines Aufrüttelns, eines heftigen Pieksers in unsere Bequemlichkeitsblase, damit man eigene Denkfaulheiten erkennt und durch neue, erkenntnisfördernde Ansätze zu ersetzen vermag. Bönt engagiert sich für die Durchsetzung von Menschenrechten und das „ist unter anderem natürlich nicht Feminismus, sondern bis in die Buchstaben dezidierter Antisexismus.“ Konsequent verweigert er sich stereotypen Zuschreibungen wie „aktiv und stark gleich männlich“. Das Entscheidende an Bönts Manifest ist jedoch die absolute Gleichrangigkeit von Mann und Frau in all ihren Besonderheiten. Bönt ist Wissenschaftler und geht dem Erkenntnisdrange folgend natürlich auch der Sexualität auf den Grund. Er ist zwischen Playboy und Alphatier der einzige, der sich mit Lust auszukennen scheint: „Vaginale und klitorale Erregung gehen ineinander über, wenn die sexuelle Energie sich im Körper ausbreiten kann.“ Er plädiert dafür, „Langsamkeit zu praktizieren und einen Orgasmus in allen Einzelheiten zwischen Fußsohlen, Scheitel, der empfindlichen Haut an den Unterarmen und im Auslaufen auf den Handflächen zu genießen.“ Für so viel Goodwill stellen wir gern unter Beweis, dass auch wir die männliche Sexualität erkunden wollen, denn zu einer „geehrten Sexualität“ gehören mehr als anatomische Kenntnisse und Genitalmassagen. Danke, Herr Bönt für den Fingerzeig!

Der Unsichtbare

Dann gibt es natürlich noch die abseits aller Öffentlichkeitswirksamkeit schaffenden Männer. Dieser, nennen wir ihn „Unsichtbare Mann“ holt klaglos die Kinder von der Kita ab, verwechselt nicht Woll- und Kochwäsche und stellt dabei noch ein ökozertifiziertes Designhaus in die Uckermark. Nebenbei kennt er die neueste Kollektion von „Maison Close“ und verduftet, wenn ein Mädelsabend angesagt ist. Zu schön, um wahr zu sein? Es gibt mehr Männer dieser seltenen Spezies, als wir vermuten. Sie sind nur nicht auf den ersten Blick erkennbar und offenbaren ihren Wert erst nach einer Weile. Der unsichtbare Mann zeigt dann Farbe, wenn wir ihn sehen und dazu gehört ein wenig Feinsinn und auch guter Wille. Mediales Echo braucht er nicht. Sein größter Widerhall ist unser stilles Glück.

Give men a chance!

Fazit: Der „Männlichkeiten“ gibt es also viele, ebenso wie Männer, die sich Gedanken über das eigene Geschlecht machen. Ob wir die immer gut finden, ist eine andere Sache. Lassen wir sie reden, basteln, überdrehen! Geben wir ihnen und uns eine Chance. Mit Betüdeln und Bemuttern kommen wir ganz bestimmt nicht weit, wohl aber mit einem offenen Ohr und Neugier.

Illustrationen Markus Murlasits

Zum Nachlesen:

Playboy „How to be a man“, Der Playboy Gentlemen’s Guide 01/2018

Kollegah „Das ist Alpha. Die 10 Boss-Gebote“, Riva 2018

Frederick Lau, Kida Ramadan „Zusammen sind wir Könige“, Ullstein 2018

Jordan B. Peterson „12 Rules for Life. An Antidote“. Penguin Random House 2018.

Ralf Bönt „Das entehrte Geschlecht“, Pantheon 2012

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Autor: Ute Cohen

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