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Das Herz vergisst eben nie ganz

Mir wurde beinahe die Ausreise aus Frankreich verweigert. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft meinten, es gäbe noch viele ungeklärte Antworten zum persischen Fall…

Die Art und Weise wie sie dies sagten“ persischer Fall“ machte mich echt sauer und kränkte mich zutiefst. Zum Glück behielt ich meine Contenance. Obwohl ich diesen französischen, bornierten Monsieur am liebsten beschimpft hätte. Die typische Schikane der französischen Beamten eben.

Nach wochenlangem Hin und Her, unmöglichen Befragungen und Hausarrest haben sie mich dann gehen lassen. Nun konnte ich endlich meiner Mission nachgehen und in den Iran reisen.

Aus Gründen, die ich nicht nachvollziehen konnte, war es mir nicht möglich, sofort nach Teheran zu fliegen. Man verweigerte mir das Visum und somit die Einreise, obwohl ich den letzten freien Platz in einer Reisegruppe gebucht habe. Der Pass kam ohne das ersehnte Visum zurück.

Obwohl ich diese Mission alleine antreten wollte, diskret, ohne Hilfe, blieb mir nichts anderes übrig, als die Schwester von Shahab in Teheran zu kontaktieren, die ich bei Ihrem einmaligen Besuch in Frankreich ganz flüchtig kennengelernt habe. Unsere Begegnung in Frankreich verlief sehr eigenartig, ja fast eine wenig furchteinflössend. Derya beäugte mich scharf. Ihr Blick sagte alles. Sie gab mir auch sofort zu verstehen, dass ich nie und nimmer das Herz Ihres über alles geliebten einzigen Bruder gewinnen könnte. Sie schikanierte mich fast ein wenig, sie meinte – ziemlich schnippisch –, dass ich nicht standesgemäss sei für Ihre Familie. Shahab beruhigte sie sanft und meinte nur, dass wir ein rein berufliches Verhältnis hätten. Wenn sie gewusst hätte, wie Shahab und Ich uns nach diesem Treffen innig und heiss geliebt haben, dann wäre Ihr vermutlich die Schamröte ins Gesicht gestiegen.

Ich kontaktierte Sie und erwähne nebenbei, dass ich einen USB Stick von Ihrem Bruder habe, jedoch leider nichts vom Inhalt verstehe, da alles auf Farsi ist. Das einzige, das ich dem Stick entnehmen konnte, war der Umstand, dass sein Inhalt hoch brisant ist! Waffenschiebung, Erpressung?! Ich bereute aber meine Erwähnung des Sticks zugleich, da ich Ihr der Schwester nicht ganz traute. Ich habe sie dennoch gebeten, mich einzuladen, damit ich das Visum doch noch erhalte. Sie setze alle Hebel in Bewegung, telefonierte herum, sodass ich wenige Tage später mein Visum erhielt, erneut einen Flug buchte und mich auf den Weg in den Iran machte.

Die Begrüssung von Derya in Teheran war auffällig herzlich und überschwänglich, fühlte sich jedoch gar nicht gut an, wirkte heuchlerisch und fies.

Aber ich liess mir nichts anmerken und spielte das Spiel mit.

Ich konnte bei Ihr wohnen und wurde von Ihrer Familie sehr herzlich aufgenommen. Endlich kam ich wieder in den Genuss der persischen Kochkünste: Bagbal Gbatogh, Maast O Kbiar, Kuku Sabzi, Naan Barbari, Cbelo, Joojeh Kabab und Zoolbia. Es war ein köstliches Essen! Dazu servierten Ihre Kinder feinsten Schwarztee, den ich sehr liebe. Da ich schon seit längerer Zeit kein Alkohol mehr trinke, vermisste ich den Wein zum Essen nicht, auch wenn der Alkohol im Iran „ fast“ verboten ist kannst du dich an geheimen Adressen sehr gut eindecken, nicht nur mit Alkohol, sondern auch mit Drogen und anderen Substanzen.

Ich würde die ganz Zeit von Derya beäugt und beobachtet. Es war schon ein richtiges Anstarren. Und sie konnte es kaum erwarten bis sich die Gelegenheit ergab, diesen USB Stick auszuwerten. Da ich nichts verstand, liess ich nur die Bilder auf mich wirken und diese waren erschreckend.

Sie verliess – während wir die digitalen Inhalte prüften, immer wieder das Zimmer, telefonierte wie eine Verrückte, schrie herum und rannte in der Wohnung hin und her. Da ich eben kein Farsi verstehe oder spreche, konnte ich nur aus Ihrem Gesicht und Ihren Bewegungen entnehmen, dass die Sache sehr ernst war. Sie löcherte mich ständig, fragte, ob ich mit jemandem darüber geredet hätte, wollte zudem alles genau wissen, zu den Befragungen der Staatsanwaltschaft in Frankreich. Ich sagte ihr, dass niemand ausser sie und ich von diesem Stick Kenntnis haben. Sie wirkte fast ein wenig erleichtert, dennoch traute ich der Sache nicht. Was führt sie nur im Schild? Ihr offenkundiges Misstrauen mir gegenüber war unangenehm. Ich fühlte mich nicht sehr wohl in meiner Haut.

Überstürzt verliess sie am nächsten Tag die Wohnung und liess mich zurück. Ihre Kinder hatten wohl ein wenig Erbarmen mit mir und nahmen mich ganz spontan mit auf einen Spaziergang zum Tajrish Bazar.

Es war schön, etwas rauszukommen. Ich fühlte mich nämlich beinahe, als würde ich unter Hausarrest stehen. Ich verbrachte die Tage nur in der stickigen Wohnung – essen, Tee trinken, lesen. Seit meiner Ankunft In Teheran fühlte ich mich leicht am kränklich.

Ich schleppte mich über den Bazar, merkte dabei, wie es mir immer schlechter ging. Es war mir übel. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Die Kinder bemerkten meinen Zustand, waren darob etwas hilflos und ratlos. Sie schleppten mich zurück in die Wohnung. Zu Hause angekommen erwartete mich eine wütende, gereizte Derya die Ihre Kinder und mich anschrie, sie führte sich auf wie eine Bestie. Sie bemerkte meinen Zustand kaum oder ignorierte ihn vollkommen. Ich erkundigte mich, wo sie gewesen und was eigentlich los sei. Sie meinte nur schroff, das gehe mich nichts an, meinte schnippisch und herablassend zu mir, dass meine Anwesenheit sie störe, und dass ich den USB Stick nicht mehr zurückbekomme.

Ich war extrem irritiert und wütend. Ich wollte raus aus dieser Wohnung, diesem Land. Stündlich verschlechterte sich mein Zustand. Ich konnte mich kaum mehr auf meinen Beinen halten. Es war schlimmer als jede Malaria, die ich oft hatte, damals, als ich in Afrika lebte. Ich kotzte wie ein Fischreiher, das Fieber stieg von Minute zu Minute. Mein Zustand kümmerte Derya sichtlich wenig. Ich hatte fast das Gefühl sie freute sich darüber, dass es mir immer mieser ging. Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, wusste aber genau, dass hier etwas ganz Fieses läuft, bei dem Derya die Finger im Spiel hat. Zudem war ich inzwischen fest davon überzeugt, dass Derya am Mord von Shahab mit-beteiligt war. Ich musste fliehen. Aber wie?

Ich hörte wie Derya die Wohnung verliess und Ihre Kinder ermahnte, dass sie auf mich aufpassen sollen, ich die Wohnung keinesfalls verlassen dürfe.

Nach langem Warten zog ich mich an,  so gut es eben ging, packte meinen Rucksack, Pass, Telefon, Geld und schlich mich aus dem Zimmer. Die Kinder waren im Wohnzimmer vor dem Fernsehen und schauten DVD welche ich Ihnen mitgebracht hatte aus der Schweiz: „Heidi“. Sie waren völlig auf den Film fixiert.

Vorsichtig öffnete ich die Wohnungstüre, flüchtete. Ich stürzte die steile, verwinkelte Treppen runter und lag nun blutverschmiert, verletzt in meinem Erbrochenen vor dem Hauseingang. Ich raffte mich auf, weil es mir eins bewusst war – wenn ich liegen bleibe, sterbe ich. Mit letzter Kraft stürzte ich mich mitten im Nachtverkehr von Teheran vor ein Taxi. Der Fahrer hielt sofort und schrie mich zuerst an, realisierte aber sofort, dass es hier um Leben oder Tod geht. Er packte mich und meine Habseligkeiten, schob mich in seinen Wagen, raste los.

Fluchend und gestikulierend fuhr er durch den Verkehr. Mir ging es immer schlechter. Ich dachte bald, ich müsste nun endgültig den Löffel abgeben. Ich versuchte, nicht in sein Taxi zu kotzen, aus Respekt – was mir auch gelang. Wir fuhren vor ein grosses Gebäude wo die rote Notfall Tafel leuchtete. Er zerrte mich aus dem Taxi, schmiss mich vor den Eingang. Ich gab ihm ein Bündel Rial, er verschwand in der Dunkelheit der Nacht.

Ab hier habe ich keine Ahnung mehr, was genau geschehen ist.

Ich wachte langsam auf, blinzelte in eine mir unbekannte Umgebung. Ich lag auf der Intensivstation. Um mich herum Schläuche, Infusionsgeräte, eben alles, was dazugehört. Sowie das strahlende Lächeln eines Arztes, der mich mit seinen bernsteinfarbigen Augen fixierte. Arya, so hiess mein Arzt, ist Perser, wuchs in Hamburg auf, wo er Medizin studierte und am Uni- Spital arbeitet. Jedes Jahr zieht es ihn für einige Wochen nach Teheran, um in diesem Spital die Notfallstelle zu leiten. Was für ein Glück für mich!

Arya gab mir ein eindrückliches Up date über meinen Gesundheitszustand. Er erzählte mir, dass eine Notoperation nötig war, wegen der Vergiftung und den massiven Verletzungen vom Treppensturz. Nur schon der Gedanke, dass Derya dahintersteckte machte mich wütend und traurig.

Ich hatte grosses Glück! Wenn der Heilungsprozess gut verlaufe, könne ich das Krankenhaus bald verlassen. In der Zwischenzeit kümmerte sich Arya nicht nur medizinisch um mich, sondern es entwickelte sich eine tiefe, zu diesem Zeitpunkt fast rein platonische Freundschaft. Ich konnte mich Ihm anvertrauen und erzählte Ihm die ganze Geschichte von Shahab in Frankreich bis zu meiner „ Mission“ hier in Teheran. Wir mussten sehr vorsichtig sein mit unserer Zuneigung, da wir vom Personal unter ständiger Beobachtung waren. Trotz allem konnten wir die Finger nicht voneinander lassen, wir hatten fantastischen Sex. Ich war begeistert, konnte nicht genug davon haben. Es fühlte sich sau gut an.

Wir schmiedeten einen Schlachtplan. Ich musste das Land so rasch wie möglich verlassen. Da ich Derya zutraute, dass sie Ihre „ Helfer“ losschickte, um mich zu suchen. Es war eine schnelle, diskrete Planung nötig.

Einige Tage später, noch immer etwas schwach, durfte ich das Krankenhaus verlassen. Da ich bis zu meiner Entlassung auch aus Sicherheitsgründen auf der Intensivstation weilte, fragte niemand nach mir, es durften auch keine Informationen nach draussen gehen. Aryas Vertrag auf der Notfallstation endete gleichzeitig wie meine Entlassung er musste zurück nach Hamburg. Wir konnten zusammen ausreisen. Ich war aufgeregt und leicht nervös. Arya beruhigt mich, meinte es sei alles vorbereitet und ich soll ihm Vertrauen. Wir flogen von Teheran nach Tiflis wo wir ein paar Tage und Nächte verbrachten.

Tiflis ist die Hauptstadt Georgiens. Die kopfsteingepflasterte Altstadt blickt auf eine lange, komplizierte Geschichte zurück und befand sich zeitweise unter persischer und russischer Herrschaft. Die vielfältige Architektur umfasst ost-orthodoxe Kirchen, prächtige Gebäude im Art nouveau-Stil und modernistische Sowjetbauten.

Es gibt unglaublich tolle, neue Restaurants mit jungen, begabten Köchen welche sich gelöst haben von der schweren Küche. Wir entdeckten das Cafe Littera wo wir die besten Muscheln vom Schwarzen Meer kosteten.

Unsere Reise ging weiter nach Hamburg. Endlich! Wo Arya an der Uniklinik wieder die Notfallstation leitete. Durch etwas Zufall und Hartnäckigkeit fand ich einen spannenden Job. Ich konnte endlich wieder meiner Leidenschaft als Concierge, als Gastgeberin, nachgehen, in einem modernen, feinen und coolen Boutique Hotel. Dort stellt niemand Fragen zu meiner Vergangenheit. Arya und Ich geniessen unsere, frische, junge Beziehung. Es ist ein schönes Gefühl. Er tut mir gut. Hamburg tut mir gut. Manchmal, für einen kurzen Moment nur, denke ich an Shahab.

Das Herz vergisst eben nie ganz.

Und die Vorgeschichte dazu gibt es unter diesem Link:

https://kultmag.ch/2017/10/24/die-mission-meiner-grossen-liebe-eine-concierge-geschichte/

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Autor: Gastautor

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